Wie ist der Stand der Dinge? Was sind die Herausforderungen? Darüber sprach context mit Dr. Peter Boos, Leiter Qualität & CCUS Deutschland, und Dr. Steffen Gajewski, Projektleitung GeZero, beide Heidelberg Materials Deutschland.
context: Das Projekt GeZero in Geseke ist angetreten, um das erste deutsche Zementwerk zu werden, das Net-Zero-Zement und -Klinker auf CCS-Basis (Carbon Capture and Storage – CO2-Abscheidung und -Speicherung) produziert. Wie ist der aktuelle Stand des Projektes?
Gajewski: In einer Vorstudie haben wir das grobe Konzept erarbeitet. Die Detail-Lösungen werden jetzt in einer sogenannten FEED-Studie (Front-End Engineering Design) geklärt werden. Im nächsten Schritt werden wir einen Generalunternehmer beauftragen, der die einzelnen Arbeitspakete zusammenfasst, strukturiert und unterschiedliche technische Konzepte ausarbeitet.
context: Können Sie schon beschreiben, wie das Werk in etwa aufgebaut sein wird?
Gajewski: In Prinzip bleibt das Werk so bestehen, wie es jetzt ist. Bis auf den Drehofen – das Herzstück des Werkes – werden wir die bestehenden Anlagen weiter nutzen, teilweise jedoch modernisieren. Da sich der aktuelle Ofen sehr zentral im Werk befindet und dort keine Erweiterungsflächen vorhanden sind, wird der künftige Oxyfuel–Ofen am jetzigen Werksrand errichtet werden. Die Besonderheit des neuen Ofens ist, dass er mit reinem Sauerstoff betrieben wird, um einen Abgas- strom mit hoher CO2-Konzentration zu realisieren. Dadurch können die nachgeschalteten Anlagen kleiner ausgelegt und auch effizienter betrieben werden. Den reinen Sauerstoff für den Ofen werden wir mit einem Luftzerleger selber erzeugen, da der logistische Aufwand ansonsten zu hoch wäre. Das Abgas wird in mehreren Prozessschrit– ten aufbereitet, um möglichst reines CO2 zu gewinnen. Für den Bahntransport wird es dann auf etwa -35° Celsius heruntergekühlt und auf 15 Bar verdichtet. Unter diesen Bedingungen ist das CO2 flüssig und besitzt eine Dichte wie Wasser. Mit der Bahn soll das CO2 zu einem Nordseehafen transportiert und weiter mit Schiffen zu einer geologi–schen Lagerstätte gebracht werden.
context: So eine Anlage zu bauen ist eine große Aufgabe. Was ist dabei erfolgsentscheidend?
Gajewski: Mit GeZero sind wir Vorreiter in vielen Bereichen in Deutschland. Wir gehören zu den ersten, die einen solchen Oxyfuel-Ofen in dieser Größe bauen. Die Entwicklung der Abscheidetechnologien stellt daher auch eine hohe wirtschaftliche Investition und damit auch ein gewisses unternehmerisches Risiko dar. Für alle Projekte dieser Art sind sehr hohe Investitionen notwendig, die auch im Falle höherer Förderungen – für GeZero 191 Millionen Euro aus dem EU-Innovationsfonds – für Heidelberg Materials finanziell sehr anspruchsvoll bleiben. Grundsätzlich ist die Technik energieintensiv und unser Ziel ist es, die Anlage ab 2029 mit erneuerbaren Energiequellen zu betreiben. Die Energiegewinnung dafür ist eine Frage, die dabei viele umtreibt. Und natürlich darf man die Inbetriebnahme nicht unterschätzen, wenn wir den alten Ofen außer Betrieb nehmen, die Rohmühle und die Zementmühlen an den neuen Ofen anbinden und diesen dann anfahren. Auch die Genehmigungen müssen rechtzeitig beantragt und erteilt werden, was viel Wissen bei den entsprechenden Stellen voraussetzt, deswegen sind wir hier natürlich jederzeit ansprechbar und stellen unsere Erfahrungen zur Verfügung.
context: Wie steht es um Fragen von Infrastruktur und Logistik, die in einer CO2-Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind?
Boos: Die für uns zum aktuellen Zeitpunkt relevanten Speicher werden derzeit vor allem in Dänemark und Norwegen entwickelt. Das heißt, dass große Mengen CO2 über lange Distanzen transportiert werden müssen. In Geseke wollen wir beispielsweise 700.000 Tonnen im Jahr abscheiden, etwa 2.200 bis 2.400 Tonnen CO2 pro Tag. Am besten werden große Gas- oder Flüssigkeitsmengen in einem Pipelinenetz transportiert. Ein solches Pipelinenetz für CO2 gibt es allerdings derzeit nicht. Um keine Zeit zu verlieren, haben wir uns daher entschieden, das GeZero-CO2 zunächst mit der Bahn zu transportieren. Der Transport von Gasen wird bereits von vielen Firmen betrieben und hat sich in der Praxis bewährt. Wir sind dabei mit vielen Sparten aus der Öl- und Gas-Industrie sowie der Wissenschaft im Austausch. Aber eins ist ganz klar, mittel- und langfristig muss der Großteil des CO2-Transports in Deutschland und Europa angesichts der zu erwartenden Mengen per Pipeline erfolgen.
context: Die Heidelberg Materials nutzen will, aber nicht selber baut....
Boos: Richtig. Die Entwicklung und Finanzierung der CO2-Infrastruktur ist ein Knackpunkt. Als „First Mover“ treiben wir vor allem die Entwicklung und den Bau der Abscheideanlagen voran, das ist unser unmittelbarer Part der Verantwortung in der Wertschöpfungskette. Aber es geht nur partnerschaftlich, daher nehmen wir auch die Prozesse über die Werksgrenzen hinaus in den Fokus und sind im engen Austausch und in Diskussionen zu den Themen Transportinfrastruktur und CO2-Speichermöglichkeiten.
context: Deutschland möchte bis 2045 klimaneutral werden. Die Zeit drängt. Was muss noch politisch passieren, damit die Zementbranche und Heidelberg Materials ihren Beitrag dazu leisten können?
Boos: Vor allem in der Zementindustrie, der Kalkindustrie sowie bei der Abfallverbrennung entstehen prozessbedingt große Mengen an unvermeidbaren CO2-Emissionen. Darüberhinaus gibt es verschiedene Branchen, deren CO2-Emissionen als schwer vermeidbar bezeichnet werden müssen und die zumindest in einer Übergangszeit auf die CO2-Abscheidung angewiesen sind. Ohne CCUS sind die Klimaziele unerreichbar, hierüber gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens. Für die gesamte Industrie ist es daher außerordentlich wichtig, jetzt Planungs- und Rechtssicherheit zu kriegen. Zunächst benötigen wir erst mal einen Rechtsrahmen für CCUS – für den Aufbau von Pipelines, den Transport von CO2 und auch für die Speicherung in Deutschland. Wir müssen mit Unterstützung der Politik Lösungen finden, wie die Kosten und Risiken auf mehreren Schultern, vor allem mit Blick auf den Aufbau einer Transport- Infrastruktur, verteilt werden können. Beim Wasserstoffkernnetzwerk ist das ja nicht anders. Die Bundesregierung hat im Mai die Eckpunkte einer Carbon-Management-Strategie und ein überarbeitetes Kohlendioxidspeicherung- und -transportgesetz beschlossen, der Bundesrat hat Stellung genommen, jetzt muss der Bundestag entscheiden. Wir setzen darauf, dass diese Entscheidung noch dieses Jahr durch die Institutionen geht.
Ohne CCUS sind die Klimaziele unerreichbar, hierüber gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens.
Dr. Peter Boos
context: Bei den enormen Investitionen und komplexen Herausforderungen, gerade im regulatorischen Bereich, dürfte sich der eine oder andere Leser durchaus die Frage stellen, ob es Alternativen gibt.
Boos: Die Alternative zur Abscheidung und Speicherung ist die Vermeidung von CO2-Emissionen. Es geht aber nicht um „entweder…oder“, sondern um „sowohl…als auch“! Um den CO2-Fußabdruck zu senken, haben wir vor allem zwei Hebel: Zum einen erhöhen wir den Anteil biogener und alternativer Brennstoffe in unserem Prozess und reduzieren so den CO2-Fußabdruck unserer Portlandzementklinker direkt. Zum anderen treiben wir mit Hochdruck die Entwicklung von innovativen klinkereffizienten Zementen voran. Indem wir den Klinkeranteil verringern, reduzieren wir den CO2-Gehalt in unseren Zementen. Allerdings gibt es bei der Substitution des Klinkers durch alternative Ausgangsstoffe technische Grenzen: Der Klinker im Zement bestimmt immer noch die wesentlichen Eigenschaften des Zements und damit auch die des Betons. Zudem müssen diese alternativen Ausgangsstoffe auch langfristig in den entsprechenden Mengen zur Verfügung stehen. Das heißt: Klinker ist auch in Zukunft notwendig und genau hier kommt die CO2- Abscheidung, -Speicherung und -Nutzung ins Spiel.
context: Bei der CO2-Speicherung spielt sicherlich auch die Aufklärung und Akzeptanz in der Bevölkerung eine Rolle. Wie ist hier Ihre Einschätzung?
Gajewski: Die Akzeptanz in Politik, Wissenschaft und Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren bereits positiv verändert. Ich glaube dennoch, dass wir in der Gesellschaft selbst einen höheren Aufklärungsgrad brauchen. So muss tatsächlich noch deutlicher erklärt werden, dass die Speicherung von CO2 im Untergrund eine sichere Methode ist und weltweit seit Jahrzehnten angewendet wird. Auch in Deutschland gibt es geologische Formationen, welche die sichere und dauerhafte Speicherung von CO2 ermöglichen. Die Erkenntnis,dass die Speicherung auch in Deutschland, unter dem Meeresboden und perspektivisch auch unter dem Festland, für den Industriestandort Deutschland möglich und technisch absolut belastbar ist, ist bislang den wenigsten klar.
Mit GeZero sind wir Vorreiter in vielen Bereichen.
Dr. Steffen Gajewski
context: Sicherheit ist ein großes Thema bei den unterirdischen Speichern für CO2. Wie kann man sich diese Speicherung in geologischen Formationen z.B. unter der Nordsee vorstellen?
Boos: Es gibt verschiedene Gesteinsarten, die sich als CO2-Speicher eignen. Am häufigsten sind dies sogenannte Porenspeicher, also Sandsteinformationen in 1000 bis 3000 Meter Tiefe, die von massigen, undurchlässigen Ton- oder Schie- ferschichten überdeckt sind. Wir reden hier von Tiefen, die den Höhen der Alpen entsprechen! Erdgas wird in Deutschland auch in eben diesen Porenspeichern gelagert. Das Gas wird in den Porenräumen fest eingeschlossen und gebunden. Langfristig löst sich das CO2 im Formationswas- ser, sinkt ab oder bildet Carbonatgestein. Im Rahmen des wissenschaftlichen GEOSTOR-Projektes, in dem wir uns auch engagieren, werden die Sicherheit, mögliche Umweltrisiken und Methoden zur Überwachung untersucht.
context: Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, wie das Thema CO2 uns als Unternehmen beschäftigt. Ist denn schon abzusehen, was das für unsere Kunden bedeutet?
Boos: Wir arbeiten sozusagen an der Zukunft unseres Marktes. Dadurch werden wir der Baustoff-Industrie und unseren Kunden in Zukunft weiterhin Zement zur Verfügung stellen können und das sogar CO2-frei.
Das Gespräch führten Conny Eck und Kevin Ballon
Übersicht aller CCUS-Projekte von Heidelberg Materials in Deutschland
Die unterschiedlichen Projekte von Heidelberg Materials im Bereich CCUS (Carbon Capture, Utilisation & Storage) umfassen die gesamte Wertschöpfungskette – von der CO2-Abscheidung über Transport und Speicherung bis hin zur Nutzung des abgeschiedenen CO2. Über seine CCUS-Projekte will Heidelberg Materials seine CO2-Emissionen weltweit bis 2030 um insgesamt 10 Mio. t pro Jahr verringern.
Geseke, Deutschland: GeZero
CCS | 2029 | 700 kt CO2 p. a.
Oxyfuel-Technologie
Das Projekt GeZero von Heidelberg Materials in Geseke wird vom EU-Innovationsfonds unterstützt. GeZero wird eine Lösung für Industriestandorte im Landesinneren bieten, die sich nicht in unmittelbarer Nähe zur Küste oder zu einer Wasserstraße befinden. Das Projekt umfasst auch eine Trans portlösung zur zeitlichen Überbrückung, bis die erforderliche Pipeline-Infrastruktur zur Verfügung steht. Die Inbetriebnahme der Anlage ist für 2029 geplant. Nach der Abscheidung soll das CO2 zu einem Verteilerzentrum in Wilhelmshaven und von dort zu Offshore-Speicherstätten in der Nordsee transportiert werden.
Lengfurt, Deutschland: „Cap2U“
CCU | 2025 | 70 kt CO2 p. a.
Amin-Technologie
Gemeinsam mit Linde will Heidelberg Materials im Rahmen eines Joint Ventures im Zementwerk Lengfurt 2025 die weltweit erste CCU-Anlage im großtechnischen Maßstab in der Zementindustrie in Betrieb nehmen. Dies ermöglicht eine Weiterverwertung des abgeschiedenen CO2 aus der Ze- mentproduktion als wertvoller Rohstoff für industrielle Anwendungen. Das aufbereitete Gas kann dank seiner Reinheit sowohl in der Lebensmittel- als auch in der Chemieindustrie eingesetzt werden.
Ennigerloh, Deutschland: LEILAC
CC | 2026 | 100 kt CO2 p. a.
Direktabscheidung
Das EU-finanzierte Projekt LEILAC (Low Emissions Intensity Lime And Ce- ment), bei dem Heidelberg Materials einer der strategischen Partner ist, soll die technische und ökonomische Umsetzbarkeit einer Prozesstechnologie zur Abscheidung des bei der Erhitzung des Rohmaterials freigesetzten CO2 in hochreiner Form demonstrieren. Nach dem erfolgreichen Abschluss von Prozessversuchen in Lixhe, Belgien, wird die LEILAC-Technologie nun in den industriellen Maßstab überführt. In Zusammenarbeit mit dem australischen Technologieunternehmen Calix und einem europäischen Konsortium wird Heidelberg Materials nun eine viermal so große Anlage im Werk Ennigerloh in Deutschland bauen.
Mergelstetten, Deutschland: catch4climate
CC | 2025
Oxyfuel-Pilotanlage
Gemeinsam mit drei weiteren europäischen Zementherstellern ist Heidelberg Materials an einem Forschungsvorhaben zum Bau einer Oxyfuel-Ofenanlage beteiligt. Mit den Unternehmen Buzzi/ Dyckerhoff, Schwenk und Vicat will Heidelberg Materials die Voraussetzungen für den großflächigen Einsatz energiearmer, kostengünstiger CO2-Abscheidetechnologien in Zementwerken schaffen. Eine Demonstrationsanlage im halbindustriellen Maßstab wird derzeit auf dem Gelände des Zementwerks Mergelstetten errichtet. Neben der Erprobung der Pure-Oxyfuel-Technologie soll ein Teil des gewonnenen CO2 zur Herstellung von klimaneutralen synthetischen Kraft- stoffen, z. B. Kerosin für die Luftfahrt, verwendet werden.
CCS
Carbon Capture & Storage bezeichnet die dauerhafte und sichere Speiche- rung von abgeschiedenem CO2 in ge- eigneten geologischen Formationen.
CCU
Im Rahmen von Carbon Capture & Utilisation fokussieren wir uns auf die Nutzung des abgeschiedenen CO2, beispielsweise zur Produktion synthe- tischer Kraftstoffe, für die Zucht von Mikroalgen oder zur Rekarbonatisie- rung von Recycling-Beton.