Nachhaltigkeit effektiver auf die Straße zu bringen: Dieses Ziel hat sich die Autobahn GmbH auf die Fahnen geschrieben. Bestes Beispiel, um dies zu erproben, ist das Bauprojekt an der A62. Dort wurde die Fahrbahndecke an der unbewirtschafteten Rastanlage (PWC-Anlage) Potzberg von Januar bis August 2024 in beiden Fahrtrichtungen erneuert. Doch nicht nur das: „Wir nutzen das Projekt zugleich als Pilotstrecke, um auszuloten, ob sich Recyclingbeton als Rohstoff auch in größerem Umfang als bisher im Straßenbau einsetzen lässt. Unser Ziel ist es, die Recyclingquoten wesentlich zu erhöhen“, erläutert Oliver Leif, Betontechnologe und Teamleiter bei der Niederlassung West der Autobahn GmbH in Montabaur.
Vorbild Ausland
Tatsächlich sind beim Pilotprojekt in Potzberg anstatt 40 Prozent Rezyklat-Anteil, wie im Regelwerk vorgesehen, satte 70 Prozent verbaut worden. Dieser Entscheidung liegen die guten Erfahrungen zugrunde, die im Ausland bislang mit höheren Recyclingquoten im Straßenbau gemacht wurden. „Besonders die erfolgversprechenden Ergebnisse in der Schweiz haben uns ermutigt, auch einmal abseits bestehender Regelwerke zu agieren, um neue Erkenntnisse zu gewinnen“, erklärt Bauexperte Leif.
Besondere Anforderungen
Entsprechend unkonventionell waren die Anforderungen an die Baumaterialien und die Betonzusammensetzung in der Ausschreibung. Unter anderem sollten vorhandene Baustoffe und Ausbaumassen vollständig wiederverwendet werden. Um die Schotterschichten der vorhandenen Verkehrsflächen und die anstehenden Böden nicht ausbauen und durch zugelieferte Baustoffe ersetzen zu müssen, kam eine in-situ-Bodenstabilisierung mit Zement zur Anwendung. Durch die Zugabe von 2 Prozent NovoCrete (IBS GmbH, Herrenzimmern) zum Zement wurden zudem die Tragfähigkeit, die Zugfestigkeit und die Wasserundurchlässigkeit der stabilisierten Bodenschicht verbessert. Ferner war der Einsatz von hohen Zugabemengen von Asphaltgranulat im einzubauenden Asphalt und rezyklierter Gesteinskörnung für den Beton gefordert. Konkret heißt dies: 70 Prozent der Gesteinskörnung sollten RC-Material Typ 1 sein und zwar in den Korngruppen 2/8 (15 Prozent), 8/16 (25 Prozent) und 16/22 (30 Prozent), ergänzt durch 30 Prozent Natursand. Als Zement war, statt des klassischen Fahrbahndeckenzements, der besonders klinkerarme CEM III/A 42,5 N gewünscht.
Hand in Hand
Aufgrund des Pilotcharakters war von vornherein ein enger fachlicher Austausch erforderlich, denn schließlich bedeutete das Projekt für alle Akteure Neuland. Diese waren die Autobahn GmbH als Auftraggeber, die Juchem Asphaltbau GmbH & Co. KG als Auftragnehmer, der Vertrieb durch die Heidelberg Materials Beton DE GmbH, Region Süd-West, Berger Bau als bauausführendes Unternehmen, Heidelberg Materials als Zementlieferant und verantwortliche Prüfinstanz, F.J. Juchem GmbH & Co. KG als Betonproduzent sowie die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die das Projekt als oberste Bundesbehörde wissenschaftlich begleitet. Die Juchem-Gruppe zum Beispiel hat das Recyclingmaterial am Firmenstandort im rheinland-pfälzischen Niederwörresbach aufbereitet, den Beton hergestellt und zum rund 45 Minuten Fahrweg entfernten Potzberg geliefert. Heidelberg Materials hat die betontechnischen Prüfungen im Vorfeld und während der Baumaßnahme durchgeführt.
Umfangreiche Untersuchungen
„Die Herausforderung bei der Verwendung von Recyclingbeton ist, dass wir in der Regel nicht wissen, woher das Material stammt. Daher wissen wir auch nicht, ob es sortenrein ist oder Fremdstoffe enthält, die sich auf die Eigenschaften des Betons auswirken können“, sagt Bodo Wollny, Prüfstellenleiter der Qualitätsüberwachung bei der Heidelberg Materials Beton DE GmbH, Region Süd-West. Deshalb seien umfangreiche Untersuchungen notwendig, die unter anderem folgende Fragen beantworten sollen: Wie verhält sich das Material bei Wasserzugabe? Wie viel Wasser nimmt das Material auf? Wie verändern sich die Eigenschaften beim Transport vom Betonmischwerk zur Baustelle? Und wie wirkt sich die Außentemperatur auf die Verarbeitbarkeit aus? „Die Materialprüfungen haben wir in Kooperation mit der Materialprüfungs- und Versuchsanstalt Neuwied und in engem Austausch mit Stefan Ruppenthal von der Juchem-Gruppe bereits im Vorfeld des Fahrbahndeckeneinbaus gemacht und auch den Einbau selbst messtechnisch engmaschig begleitet“, erläutert Betontechnologe Wollny.
Auf Nummer sicher
Gerade in der Hochphase des Einbaus im August zeigte sich der Sommer von seiner besten Seite. Da Extremtemperaturen die Betonage erschweren, hat Juchem die Betonproduktion in die frühen Morgenstunden verlegt. „Wir wollten einfach auf Nummer sicher gehen und haben an einigen Tagen bereits zwischen drei und halb vier Uhr morgens mit dem Mischen begonnen, sodass das Material problemlos vor der Hitze des Tages verbaut werden konnte“, erklärt Stefan Ruppenthal, der für die betontechnologischen Prüfungen auf Juchem-Seite verantwortlich war.
Ein rundum positives Fazit
Am Ende erfüllten sämtliche Prüfwerte die Anforderungen. Entsprechend bescheinigte Ruppenthal dem Material eine ausgezeichnete Qualität. Auch die sehr gute Zusammenarbeit aller Akteure trug zum Erfolg bei. „Wir haben auf Augenhöhe diskutiert und operiert. Es war eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre.“ Während die eigentliche Baumaßnahme im Jahr 2024 abgeschlossen wurde, werden die Prüfungen unter Federführung der BASt fortgeführt. Es wird jetzt darum gehen, zu beobachten, ob die erneuerten Flächen auch Extremwitterungen standhalten. Ist dies der Fall, stünde einer Nutzung von mehr Recyclingmaterial im Straßenbau prinzipiell nichts mehr im Wege.
Dr. Georg Haiber
Drei Fragen an Oliver Leif, Betontechnologe und Teamleiter bei der Niederlassung West der Autobahn GmbH in Montabaur
Wie bewerten Sie den Einsatz von Recyclingbeton im Straßenbau?
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es funktioniert. Deshalb sind derartige Pilotprojekte so wichtig für uns. Damit möchten wir zeigen, dass eine höhere Recyclingquote möglich ist.
Welche Anforderungen muss das Recyclingmaterial erfüllen?
Es muss regional, das heißt in der Nähe der Baustelle, verfügbar sein. Denn es macht aus Nachhaltigkeitsgründen keinen Sinn, das Material über längere Strecken zum Einbauort zu fahren.
Wie geht es nach diesem Projekt weiter?
Sollte sich der Einsatz von Recyclingmaterial bewähren, wovon wir ausgehen, planen wir weitere Projekte. Dann werden wir auch größere Streckenabschnitte mit Recyclingmaterial bauen.
Objektsteckbrief
Projekt: Fahrbahndeckenerneuerung Rastanlage Potzberg (A62)
Auftraggeber: Autobahn GmbH, Niederlassung West, Montabaur
Auftragnehmer: Juchem Asphaltbau GmbH & Co.KG, Niederwörresbach
Bauausführendes Unternehmen: Berger Holding SE, Passau
Betonvertrieb: Heidelberg Materials Beton DE GmbH, Region Süd-West
Betonproduktion: F.L. Juchem und Söhne GmbH & Co. KG, Werk Niederwörresbach
Betontechnische Überwachung: Heidelberg Materials Beton DE GmbH, Region Süd-West
Zement: ca. 650 t CEM III/A 42,5 N mit Na2O-Äquivalent < 1,05 % (evoBuild 50 CO₂-reduzierter Zement), Heidelberg Materials, Werk Mainz