Die historische Speicherstadt ist das größte zusammenhängende Denkmalensemble der Stadt und zusammen mit dem Kontorhausviertel und dem Chilehaus seit 2015 Hamburgs erstes UNESCO-Welterbe. Vor über 120 Jahren erbaut, wird sie nun für die Zukunft gesichert. Die Kaimauern, auf denen die Speicherstadt steht, sollen nachhaltig saniert werden. Wesentliche Gründe für die entstandenen Schäden sind der höhere Wasserdruck infolge des sich seit Jahrzehnten verändernden Tidehubs. Die Kaimauern weisen Risse auf, und ihr Mauerwerk ist in Teilen großflächig stark beschädigt. Der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen der Freien und Hansestadt Hamburg hat als Bauherr die ReGe Hamburg mit dem umfassenden Projektmanagement für die Sanierung der Kaimauern in der Speicherstadt beauftragt.
Handlungsbedarf
Die anspruchsvollen Wasserbauarbeiten wurden vom traditionsreichen Hamburger Unternehmen Fr. Holst (GmbH & Co. KG) übernommen, das auf eine beeindruckende 150-jährige Geschichte zurückblicken kann. Bereits in den 1950er-Jahren setzte Fr. Holst Maßstäbe in der Rammtechnik und spielte eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau des Hamburger Hafens nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch heute gilt das Unternehmen als Experte im konstruktiven Ingenieurwasserbau. Die ursprüngliche Uferwand, die um 1880 im Zuge des Baus der Speicherstadt errichtet wurde, stellt ein beeindruckendes Zeugnis der Baukunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar. Diese historische Wand wurde in den 1960er-Jahren durch eine Neukonstruktion überbaut, die die primäre Funktion der Ufersicherung übernahm. Diese Konstruktion wurde im Rahmen einer routinemäßigen Bauwerksprüfung eingehend untersucht. Die dabei festgestellten Defizite erforderten dringenden Handlungsbedarf. Um die Sicherheit der Uferlinie und der darüberliegenden Gebäude zu gewährleisten, entschied man sich für den Bau einer neuen, vorgesetzten Spundwand. Diese zeitgemäße Konstruktion übernimmt nun die Ufersicherung, während die beiden alten Wände – sowohl die historische aus dem 19. Jahrhundert als auch die Überbauung aus den 1960er-Jahren – außer Funktion gesetzt wurden.
Aufbau der Spundwand
Für die Errichtung der neuen Kaimauer wurde ein komplexer Ablauf geplant, um den besonderen Bedingungen der Baustelle gerecht zu werden. Die zirka 180 Meter lange Spundwand benötigte über 800 Tonnen Spundwandstahl. Die Herausforderung bestand darin, diesen Stahl effizient zu handhaben und die Arbeitsabläufe optimal zu koordinieren. Da sich nicht die gesamte Stahlmenge auf einem Ponton lagern ließ, wurde ein kontinuierlicher Materialkreislauf etabliert. „Diese Just-in-Time-Belieferung stellte sicher, dass die Arbeiten ohne Unterbrechung fortgeführt werden konnten“, erklärt Markus Rieger, Projektleiter, Fr. Holst (GmbH & Co. KG). Zunächst wurden die Spundbohlen bis auf die letzten vier Meter in den Boden eingebracht. Hierfür kam eine Vibrationsramme zum Einsatz, die die Bohlen in den Untergrund vibrierte. Für die letzten Meter wurde jedoch ein spezieller Hammer benötigt, dessen Lautstärke den Aufbau einer Lärmschutzwand erforderte. Insgesamt stecken nun 12 bis 13 Meter der Spundbohlen im Boden, während etwa sechs Meter aus dem Boden herausragen und die Tragkonstruktion der neuen Kaimauer bilden.
Stabilität durch Mikropfähle und Gurtung
Die neue Konstruktion der Kaimauer musste auch den steigenden Tidenhub berücksichtigen, der im Laufe der Jahre zugenommen hat, was einen höheren Wasserüberdruck auf die Kaimauer ausübt. Um diesen aufnehmen zu können, mussten die neuen Spundwandprofile statisch entsprechend dimensioniert werden. Die neuen Profile haben ein höheres Widerstandsmoment, sind schwerer und länger als die alten aus den 1960er-Jahren. Noch bevor die Spundwand vollständig belastet werden konnte, wurden 126 Mikropfähle als Schräganker eingebaut. Diese Anker stabilisieren die Konstruktion, indem sie die Kräfte im Boden einleiten und so die horizontalen Belastungen aufnehmen können. Verbunden wurden die Spundwand und die Anker über eine Gurtung – eine Stahlkonstruktion, die statisch erforderlich ist.
Stahlbetonfertigteile und Mauerwerksfassade
Nach dem Einbringen der Spundwand begannen die Arbeiten an der Betonkonstruktion und Mauerwerksfassade. Um diese sicher und effizient durchführen zu können, wurde entlang der neu eingebrachten Spundwand ein Gerüst errichtet. Als äußere Schalung dienten Stahlbetonfertigteile. Diese wurden mit Anschlussbewehrungen in der Ortbetonkonstruktion verankert und in zwei Schritten montiert. „Besonders anspruchsvoll war der Bau des Mauerwerks im Bereich der Wasserwechselzone, da dieser Bereich zweimal täglich von Ebbe und Flut beeinflusst wird“, erinnert sich Markus Rieger. Der Wasserspiegel schwankt hier um bis zu 3,60 Meter, wobei der Hochwasserstand bei +2,10 Meter NHN und der Niedrigwasserstand bei -1,56 Meter NHN liegt. Da die Unterkante des Mauerwerks genau bei 0,0 Meter NHN liegt, ist dieser Bereich etwa die Hälfte der Zeit unter Wasser. Um die Haltbarkeit des Mörtels sicherzustellen, mussten die Arbeiten an die Gezeiten angepasst werden. Eine praktische Methode half dabei, die Herausforderungen der Wasserwechselzone zu bewältigen: „Bereits an Land wurden die unteren Fertigteile zu 80 Prozent vorgemauert, wobei nur die Stoßfugen offenblieben. Auf der Baustelle mussten dann lediglich die Fugen ergänzt werden, wodurch die Mauerwerksarbeiten schneller und effizienter durchgeführt werden konnten. Diese Methode hat sich bewährt und führte zu einer optisch einheitlichen und qualitativ hochwertigen Mauer“, schwärmt Rieger. Nachdem die unteren sechs Fertigteile von je knapp 30 Metern Länge sicher platziert und die Seiten verschalt waren, konnte der Spezialbeton von Heidelberg Materials angeliefert werden.
App OnSite erleichtert Logistik und Koordination
„Die Absperrung des Bereichs vor der Kaimauer für den Publikumsverkehr ermöglichte, auf dieser Fläche die Heidelberger Betonpumpen und Betoniereinrichtungen aufzustellen. Durch diese Maßnahme war es nicht nötig, wie zuvor vorgesehen, von der Wasserseite aus zu betonieren“, so Benjamin Zimmermann, Heidelberg Materials Beton DE GmbH. Eine erhebliche Erleichterung für die Logistik und Koordination auf der Baustelle war auch die App OnSite von Heidelberg Materials. „Wir haben den Beton per App bestellt und behalten dadurch den gesamten Lieferprozess im Blick. In Echtzeit wird angezeigt, wann der nächste Betonmischer beladen wird, wo sich die Fahrzeuge aktuell befinden und wann sie auf der Baustelle eintreffen“, erklärt Rieger.
Präzision in mehreren Schritten
Für die Kaimauer wurden rund 750 Kubikmeter Spezialbeton von Heidelberg Materials verarbeitet – eine maßgeschneiderte Mischung, die speziell für diese Baustelle entwickelt wurde. Die Betonage gestaltete sich anspruchsvoll und musste in mehreren Etappen erfolgen. Ein zentraler Grund dafür war die begrenzte Tragfähigkeit des Gerüsts, das sowohl die Last der Stahlbetonfertigteile als auch den Frischbetondruck aufnehmen musste. Um eine Überlastung zu vermeiden, betonierte man zunächst nur bis zu einer Höhe von etwa einem Meter. Ein weiterer wesentlicher Faktor war die Hydratationswärme: Wäre der Beton in einem einzigen Guss verarbeitet worden, hätten die Spannungen durch die entstehende Wärme das Material zusätzlich belastet und möglicherweise Schäden verursacht. Die schrittweise Betonage und die präzise Abstimmung der Betonschichten ermöglichten es, diese Risiken zu minimieren.
Höchste Anforderungen an Spezialbeton für Wasserbauwerke
Der Beton entspricht den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen für Wasserbauwerke“ (ZTV-W LB 215). Da die Kaimauer extremen Bedingungen wie Wasser, Frost und salzhaltigen Belastungen standhalten muss, waren höchste Anforderungen an die Widerstandsfähigkeit des Materials gestellt. Ein C35/45-Beton der Expositionsklasse XC4, der besondere Beständigkeit gegen Frost- und Taumittelschäden aufweist kam zum Einsatz. „Wir haben sogenannte
Luftporenbetone (LP-Betone) verwendet. Die Luftporen werden mithilfe von Zusatzmitteln gezielt eingebracht. Sie sind mikroskopisch klein – etwa 0,033 mm im Durchmesser – und erfüllen zwei wesentliche Aufgaben: Erstens bieten sie Wasser bei Frost Platz zum Ausdehnen, und zweitens unterbrechen sie die Kapillarstrukturen des Betons, um Schäden durch Frostdruck zu vermeiden“, so Vladimir Prudovskiy, Prüfstellenleiter Heidelberg Materials Beton, Region Nord-West. Das massive Bauteil und die hohe Hydratationswärme von Portlandzement könnten Spannungen und Risse verursachen. Daher wurde ein CEM III/A 42,5 N mit 64 Prozent Hüttensand verwendet, um die Wärmeentwicklung zu minimieren.
Kontinuierliche Qualitätsprüfung
„Zunächst haben wir in unserem Labor und in der Zusammenarbeit mit dem Labor von Fr. Holst eine Probemischung entwickelt und die Konsistenz, Festigkeit und die Luftporenwerte geprüft. Der optimale Luftporenanteil liegt zwischen 5 und 6 Prozent. Dann folgte die Frostprüfung, die von einem Drittlabor durchgeführt wurde. Dabei werden Probekörper zunächst sechs Tage in Wasser gelagert, dann in eine Salzlösung gelegt und schließlich in einer Klimakammer im Wechsel bei -20°C und +20°C eingefroren und aufgetaut. Wir haben zwei Hauptkriterien geprüft: Erstens die abwitternde Betonmenge, also wieviel Material durch Frost abgetragen wird, und zweitens das Innengefüge des Betons, gemessen am E-Modul (Elastizitätsmodul)“, erklärt Prudovskiy. Der Beton wird nur als frostbeständig eingestuft, wenn die Schädigung des Innengefüges unter 25 Prozent liegt und die abgewitterte Menge im erlaubten Bereich bleibt. Eine regelmäßige Überwachung stellte die Qualiät des Frischbetons sicher. Vor jeder Betonage wurde das Ausbreitmaß überprüft und die Luftporen im Beton kontrolliert. Nur wenn der Beton den vorab definierten Spezifikationen entsprach, wurde er weiterverarbeitet. „Unser Baustoffprüfer begleitete jede Lieferung. Zusätzlich wurde der Beton bei jeder Anlieferung auf der Baustelle vom Labor Fr. Holst erneut überprüft, um höchste Qualitätsstandards zu gewährleisten. Diese kontinuierliche Prüfung im Werk und auf der Baustelle garantierte, dass der Beton den Anforderungen des Projekts gerecht wurde und die Sicherheit der Kaimauer gewährleistet war“, resümiert Vladimir Prudovskiy.
Stabilität gewährleistet
Kaimauern sind essenzielle Bauwerke, die das Ufer stabilisieren und es vor den enormen Kräften schützen, die durch den stetigen Wechsel von Ebbe und Flut entstehen. Ohne diese Befestigungen würde die starke Strömung der Elbe das Ufer erodieren und unkontrolliert abtragen. Die neue Spundwand ist so konzipiert, dass sie die Standsicherheit der Kaimauer für die nächsten rund 80 Jahre gewährleistet. Dabei wurde jedes Detail – von der Auswahl der Steinart über deren Anordnung bis hin zum Design des Geländers – in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz entwickelt, um die ästhetische und historische Harmonie der Speicherstadt zu bewahren. Besonders die sichtbaren Elemente, wie die Granitabdecksteine als Abschluss der Konstruktion, wurden so gestaltet, dass sie sich harmonisch in das Weltkulturerbe einfügen. Trotz der zunehmenden Veränderungen der Tidewasserstände und der Auswirkungen des Klimawandels wird die Kaimauer nach Abschluss der Arbeiten nicht nur ihre ursprüngliche Funktion wiedererlangen, sondern auch den Anforderungen der Zukunft gerecht werden.
Melanie Kotzan
Objektsteckbrief
Projekt: Sanierung der Kaimauer am Kehrwieder, Hamburg
Bauherr, Auftraggeber: Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen
Bauunternehmen: Fr. Holst (GmbH & Co. KG), Hamburg
Beton: 750 m3 C35/45 (LP), XC4, XF4, XD3, XS3, XA2, Heidelberg Materials Beton DE GmbH
Betonpumpen: Heidelberger Betonpumpen, Heidelberg Materials Beton DE GmbH, Hamburg
Rezepturentwicklung und Durchführung der Erst- bzw. Eignungsprüfung und Qualitätsüberwachung: Betotech Baustofflabor GmbH
Zement: CEM III/B 24,5 N (na) (evoBuild 60 CO2-reduzierter Zement), Heidelberg Materials, Werk Hannover
Fertigstellung: 2025