Eine rote Figur schwebt vor der grauen Wand. Die computergenerierte kleine Skulptur ist gitterartig geformt, aus leichtem Material. An einem Nylonfaden befestigt dreht sie sich im Punktlicht. Ihr unaufhörlich bewegter Schattenwurf fügt dem dreidimensionalen Kunstwerk weitere Dimensionen hinzu. Die porige und geäderte Struktur der massiven Wand aus Infraleichtbeton, vor der sie oszilliert, bietet dem filigranen Körper einen stimmungsvollen Fond, wie geschaffen für die Welt der Kunst. Die lebendige Optik der stabilen Betonwand des Wohnhauses im Fünfseenland lässt sie so wirken, als sei sie in althergebrachter Weise entstanden. Tatsächlich ist sie das Ergebnis modernster Betontechnologie. Es handelt sich um einen Beton, der über eine noch geringere Rohdichte verfügt als Leichtbeton: Mit der Zugabe von Blähglas und Blähton erhält der Infraleichtbeton seine charakteristische und zeitlos anmutende Natürlichkeit und ist mit einer Wärmeleitfähigkeit von Lambda kleiner 0,185 W/mK auch hochwärmedämmend. Ein Baustoff also für Architekten und Bauherren, die Sichtbeton innen und außen zeigen möchten, unverfälscht, ohne zusätzliche Dämmung, monolithisch aus einem Guss. In seinem Innovationsgrad steht dieser Baustoff der eingangs erwähnten lasergefertigten digitalen Bildhauerkunst von Moto Waganari nicht nach. Doch während der Künstler mithilfe eines 3D-Druckers und modernster Sintertechnologie aus der Automobil- und Luftfahrtbranche etwas geschaffen hat, was in Präzision und Fragilität nur noch maschinell entstehen kann, formen die Bauarbeiter mit Infraleichtbeton der neuesten Generation authentische Bauteile, die gerade durch ihren unvollkommenen Habitus mit Lunkern und Adern eine ungeahnte Individualität ausstrahlen.
Im Haus am See nimmt das Staunen kein Ende. Da ist zunächst die bezaubernde Lage nahe am Wasser. Das äußerst weiträumige und offene Anwesen zeigt keinen Hang zum Protz. Kunst findet wie selbstverständlich ihren Platz zwischen weiten Öffnungen mit Blick zum Ufer. Und noch eine Überraschung bietet das Haus: Die Architektur schafft bei all ihrer Großzügigkeit Raum für unkompliziertes Familienleben, für angeregtes Zusammensein und ruhigen Rückzug. Das mag am unverkrampften Suchen und Finden des eigenen Orts liegen. Denn eigentlich schwebte der Familie Abwechslung vom städtischen Leben und temporärer Aufenthalt im Grünen vor. Anstelle eines Wochenendhauses bot der Makler ein altes Haus am See aus den 1960er Jahren an. Der Charme dieses Grundstücks mit Baugenehmigung bezauberte die überzeugten Großstädter. Sie ließen sich auf das Abenteuer ein und gaben ein Gebot ab. Zwei Jahre verbrachten sie die Sommer auf der Liegenschaft draußen im Fünfseenland und verspürten mehr und mehr den Wunsch, den Lebensmittelpunkt aus der Stadt in die Natur zu verlagern. Die Eigentümer beauftragten Steller Welsch Architekten aus dem nahegelegenen Herrsching mit der Planung des Neubaus. Doch mit dem reinen Raumprogramm – Küche, Wohnraum, Schlafzimmer, Zimmer für Kinder und Gäste – war es nicht getan. Ein passender gestalterischer Ausdruck musste gefunden werden, wobei eine allzu geradlinige Architektur mit Flachdach aufgrund der Bauvorschriften nicht realisierbar war. Bei einer Begehung nach dem Abriss des Bestands stellte sich zudem heraus, dass das erlaubte Baufenster den Standort einer riesigen Rotbuche überschnitt. So fiel das Haus schmäler, aber länger aus, und wurde näher zur Straße gerückt.
Das Konzept, das Architekt Philipp Steller gemeinsam mit der Bauherrschaft entwickelte, ist auf die wesentlichen Elemente Beton mit sichtbaren Oberflächen, Glas, Holz und Stahl fokussiert und sehr genau auf die klar definierten Bedürfnisse zugeschnitten. Während manche Klienten Stellflächen für ihre Schrankwand relevant finden, waren in diesem Haus freie Flächen für die Hängung der Kunst Thema, die nun wie selbstverständlich in den Alltag der Familie integriert ist.
Stimmig einbinden ließen sich alle Vorstellungen in einem länglichen, aus mehreren Kuben zusammengesetzten Baukörper im massiven, aber durch große Öffnungen lichten Erdgeschoss mit Infraleichtbeton und im Gastbereich, der im Hanggeschoss untergebracht ist. Dort sind die tragenden Wände teilweise in Sichtbeton ausgeführt.
Mit Infraleichtbeton der neuesten Generation formen Bauarbeiter authentische Bauteile, die eine ungeahnte Individualität ausstrahlen.
Die Fassaden der zentralen Eingangshalle sind weitgehend transparent und geben von außen durch das Haus hindurch die Sicht auf den See frei. Im Erdgeschoss dockt auf jeder Seite je ein Volumen an. In einem sind Wohn- und Essbereich untergebracht; Arbeitsraum und Gästewohnung liegen im anderen Part. Die offene Küche ist wie ein Raummöbel eingepasst. Einbauschränke mit weißen gewellten Oberflächen aus Corian erstrecken sich in den Wohnraum und trennen ein kleines Fernsehzimmer ab, das einzige, das ohne Seeblick ist. Ein von zwei Seiten zugänglicher Kaminofen separiert die Sofaecke vom Essbereich. Die Längsseite des Hauses hat nach Südosten bodentiefe Fenster, deren präzise in die Sichtbetonflächen eingefügte Eichenholzlaibung mit dem Parkett korrespondiert. Unterbrochen wird die Aussicht von wenigen grauen Wandscheiben, die die lebendigen Verläufe des gegossenen Infraleichtbetons zeigen.
Im Erdgeschoss ist die Struktur des Infraleichtbetons innen und außen ablesbar.
Von der Eingangshalle aus führt eine Treppe mit einer bis zum Handlauf hochgezogenen Wange aus Stahl nach oben zu einem Steg, der wie eine markante Stahlskulptur im Raum hängt und die Obergeschosse der beiden Trakte verbindet. Dieses Stockwerk plante Architekt Steller als leichten Holzbau. So wie der Infraleichtbeton im massiven Erdgeschoss innen und außen ablesbar ist, ist es hier oben eine schlichte weiße Lattung, die sowohl die Fassade als auch das Innere prägt. Das Obergeschoss vermittelt dadurch den gelösten Charakter einer ländlichen Datscha, auch der querliegenden Brückenkonstruktion aus Stahl wird die Schwere genommen. Links und rechts davon liegen zu einer Seite die Kinderzimmer, zur anderen Schlafzimmer und Elternbad.
Nach dem Entschalen zeigt der Infraleichtbeton tolle Verläufe.
Philipp Steller
Im Zusammenspiel von Infraleichtbeton und Holz wirkt die Eingangshalle trotz ihrer räumlichen Dimension nicht museal, auch weil stirnseitig der Blick sofort vom Landschaftsbild jenseits der vollflächigen Verglasung in Bann gezogen wird. Seitlich nutzen zwei Werke moderner Kunst in großen Formaten und leuchtenden Farben die flankierenden Infraleichtbetonwände als dezenten Hintergrund. Eine meterhohe Lichtskulptur vermittelt dem großzügigen Entree sogar etwas Spielerisches. Die eingebaute Möblierung und der Treppenaufgang sorgen für zusätzliche Gliederung des Raums, der sich optisch bis zum See erstreckt, formal unterstützt durch einen Bodenbelag aus Muschelkalk, der bis zur Terrasse hinaus verläuft und in lockeren Trittstufen im Gras mündet.
Für den Bau nahm Architekt Steller das Bauunternehmen Adldinger aus Kranzberg mit ins Boot. Adldinger hat in der Region schon etliche Wohnhäuser mit Sichtbeton realisiert und verfügt über die nötige Erfahrung im Umgang mit Infraleichtbeton. So konnte man bei diesem Projekt auch auf eine gutachterlich geprüfte Rezeptur zurückgreifen, die Heidelberger Beton in mehreren Versuchen und unter Mitwirkung von Experten der Universität der Bundeswehr München (UniBW) bereits für das Haus Thalmair in Aiterbach entwickelt hatte und die sich auch bei Haus f2 von Architekt Fiedler in Freising (context-Ausgabe 1/2018) bewährt hat. Eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) musste Architekt Steller dennoch einholen, da diese für Bauten aus Leichtbeton mit Rohdichten unter 800 kg/m³ und/oder einer Druckfestigkeitsklasse kleiner LC12/13 für jedes Bauvorhaben erforderlich ist. Das hindert, wie die Fülle an gelungenen Bauten gerade in Bayern zeigt, kreative Architekten nicht daran, außergewöhnliche Projekte mit diesem Baustoff zu realisieren. Zu wünschen wäre, dass eine noch stärkere Nachfrage den begehrten Leichtbeton aus der Ecke eines Nischenproduktes holt. Im Fünfseenland konnten Architekt und Bauherrschaft ihre ästhetischen Vorstellungen absolut authentisch verwirklichen: Ein Haus, das den Wünschen und dem Charakter der Bewohner in einer Weise entspricht, die bei den Besuchern noch lange nachhallt.
Text: Susanne Ehrlinger
Objektsteckbrief
Projekt:
Wohnhaus am See aus Infraleichtbeton
Bauherr:
privat
Architekt:
werkraum a, GbR steller welsch architekten, Herrsching
Baufirma:
Adldinger Bauunternehmen e.K., Kranzberg
Beton:
Heidelberger Beton GmbH,
Infraleichtbeton in Sichtbetonqualität (LC 8/9 mit Rohdichte von 700
kg/m³ bei einer Druckfestigkeit > 8 N/mm²)
Energiestandard:
KfW-Effizienzhaus 40
Fertigstellung:
2017
Kontakt & Links
Dr. Robert Lukas
Mail: robert.lukas@heidelberger-beton.de