context: Herr Heger, Sie haben kürzlich die neue Position des Leiters Kreislaufwirtschaft bei HeidelbergCement Deutschland übernommen. Was genau ist Ihre Aufgabe?
Stefan Heger: Mein Ziel ist es, eine Kreislaufwirtschaft für Deutschland umzusetzen und damit – bei der Herstellung unserer Produkte – dem Einsatz von rezyklierten Materialien Vorrang gegenüber Primärrohstoffen zu geben. Wir wollen eine Kreislaufwirtschaft entwickeln, die alle Geschäftsbereiche umfasst. Darüber hinaus soll eine funktionierende Kreislaufwirtschaft nicht nur einen Mehrwert für unser Kerngeschäft schaffen, sondern uns auch die Möglichkeit geben, neue Geschäftsfelder aktiv zu entwickeln.
Welche neuen Geschäftsfelder sind das?
Thomas Wittmann: Wenn der Kreis geschlossen ist, haben wir einen weiteren Schritt Richtung vertikale Integration bei Heidelberger Sand und Kies, Zement und Beton erreicht. Heidelberger Sand und Kies kann in diesem geschlossenen Kreislauf eine wichtige Rolle einnehmen und sich zum Beispiel um den Vertrieb der Recyclingmaterialien als Portfolioerweiterung kümmern. Langfristig geht es nicht nur um die Eigenversorgung, sondern es eröffnen sich mit dem Recyclingmaterial auch ganz neue Geschäftsmöglichkeiten, denn in Deutschland sind nicht alle Körnungen überall gleich gut verfügbar. Da der Bedarf an Sand und Kies mittelfristig das Angebot deutlich übersteigen wird, sind zertifizierte Gesteinskörnungen aus Recyclingmaterial eine gute Alternative. Zudem fragen auch die Kunden aus Nachhaltigkeitsgründen heute verstärkt Recyclingmaterial an.
Der Druck auf die Bauindustrie, mehr zu recyceln, wächst derzeit enorm. Beginnt da jetzt ein Umdenken?
Heger: Ja, da passiert definitiv etwas, und wir bemerken es bei Gesprächen mit Kunden, aber auch mit den Verbänden. Überall ist das Thema Recycling und Kreislaufwirtschaft mittlerweile angekommen. Es wird viel diskutiert, zum Teil auch hitzig, weil noch nicht ganz klar ist, was können wir tatsächlich über die Kreislaufwirtschaft erreichen? Und es ist sicher eines der meistdiskutierten Themen aktuell in unserem Arbeitsbereich, aber gleichzeitig auch ein Thema, bei dem de facto unterm Strich noch relativ wenig passiert.
Warum ist das so?
Heger: Es gibt noch keine offenen Türen. Diese Türen zu öffnen ist mein Job. Es geht darum, einen Zugang zur Recyclingindustrie zu gewinnen, um dann über Partnerschaften oder Akquisitionen, aber auch durch Eigeninitiative etwas aufzubauen. Es gibt ganz viele Hürden im Denken, sowohl auf der Kundenseite als auch auf der Produzentenseite, wo recycelte Baustoffe immer noch als minderwertig oder zweite Wahl gelten. Und zum anderen haben wir natürlich auch normative Hürden. Das heißt, wir sind auch im internationalen Vergleich mit unseren Normen noch ein ganzes Stück hinterher.
Wittmann: Fakt ist aber auch: Beton ist eines der am meisten recycelten Produkte überhaupt. In Deutschland werden bereits 95 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle wiederverwertet, jedoch ist deren Qualität nach dem Recycling in den meisten Fällen geringer als beim Ausgangsprodukt. Größtes Einsatzgebiet dieser Produkte ist der Straßenbau, wo die Materialien hauptsächlich als Bodenverfestiger oder Frostschutzschicht Anwendung finden. Doch Beton ist eigentlich viel zu wertvoll, um ihn nach dem Recycling vorrangig im Straßenunterbau zu nutzen.
Sondern?
Heger: Stattdessen wollen wir Abrissbeton durch neuartige Verfahren zerkleinern, sortenrein in seine Bestandteile trennen und wieder ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft in den Baukreislauf zurückführen. Darüber hinaus arbeitet HeidelbergCement an einem Verfahren, die anfallenden Feinanteile zu nutzen, um CO2 zu binden und damit den Ausstoß bei der Zementherstellung zu reduzieren. Für dieses Projekt „ReConcrete-360°“ hat HeidelbergCement kürzlich den Innovationspreis für Klima und Umwelt 2022 (IKU) erhalten.
Mit ReConcrete-360° ist es uns gelungen, aus Abbruchbeton einen Kalksteinersatz zu entwickeln, der außerdem die Nutzung der CO2-haltigen Abgase aus der Zementproduktion möglich macht. Eine kleine Revolution mit großer Wirkung: Allein in Deutschland liegt das CO2-Einsparpotenzial durch dieses Verfahren im Millionenbereich pro Jahr. Die Prämierung mit dem IKU unterstreicht, dass wir auf unsere zukunftsweisende Innovation stolz sein können. Unser Konzept ReConcrete-360° beweist, dass Beton über den gesamten Lebenszyklus von der Herstellung bis zum Recycling das Potenzial hat, das nachhaltigste Bauprodukt zu sein.
Wittmann: Das Recycling-Projekt in Deutschland bedeutet aber auch, dass verstärkt die eigenen Betonproduktionsabfälle genutzt werden. Wir bereiten diese auf und wollen sie in der Betonherstellung in Form von rezyklierten Gesteinskörnungen wieder zuführen. Wir sparen dadurch sowohl Entsorgungskosten als auch Kosten für die Primärmaterialien Sand und Kies und sind jetzt auf dem Weg zur geschlossenen Kreislaufwirtschaft.
Um das Thema Recycling bei HeidelbergCement nach vorne zu bringen, werden viele Hebel in Deutschland in Bewegung gesetzt. Haben Sie ein konkretes Beispiel, das dies verdeutlicht?
Wittmann: HeidelbergCement unterstützt aktuell das Pilotprojekt „Circular City – Gebäude-Materialkataster für die Stadt Heidelberg“ als Partner: Mit dem Projekt, an dem neben HeidelbergCement auch Drees & Sommer SE und die Materialplattform Madaster beteiligt sind, setzt Heidelberg als erste Stadt Europas auf das Prinzip Urban Mining, bei dem Bau- und Abbruchabfälle im Sinne der Kreislaufwirtschaft für neue Bauvorhaben wiederverwendet werden sollen. Circular City in Heidelberg, das ist ein Blueprint, der es auch anderen Städten in Zukunft ermöglichen könnte, viel nachhaltiger auszuschreiben.
Zum 1. April 2022 hat Heidelberger Sand und Kies die Normkies-Gruppe in Zwickau übernommen. Welche Vorteile hat das?
Wittmann: Die Übernahme in Zwickau ist für uns sehr wichtig und bedeutet einen großen Mehrwert. Die Normkies-Gruppe ist in den Geschäftsfeldern Zuschlagstoffe (Sand und Kies), Annahme von Bodenmaterial, Recycling sowie Abbruch und GaLa- Bau tätig. Gerade durch die Abbruchsparte eröffnet sich für die HSK die Möglichkeit, direkten Zugang zu Abbruchmaterialien, wie zum Beispiel Abbruchbeton zu erhalten. Diese Materialien werden in der Recyclingsparte mit Hilfe von HSK-Expertise aufbereitet und können über die Nutzung bestehender Vertriebskanäle unter anderem auch an die Heidelberger Beton in Form von rezyklierten Zuschlagstoffen geliefert werden.
Und jetzt bitte Aufklärungsarbeit für unsere Kunden: Viele unserer Leser sind Architekten. Wenn künftig mit recyceltem Material gebaut wird, heißt es auch, dass nicht schlechter gebaut wird. Wie können wir mit diesem Vorurteil aufräumen?
Wittmann: Es gibt unzählige Studien von verschiedenen renommierten Instituten, die sich mit recycelten Baustoffen beschäftigen. Aus dem Ausland liegen bereits Anwendungsbeispiele vor, die eindeutig belegen, dass es bei der richtigen Handhabung natürlich zu keinerlei Qualitätseinbußen kommt. Also ist der Beton genauso gut wie der normale Beton.
Und es ist ein Produkt, das definitiv nachhaltiger ist als ein Beton, der nur mit Primärrohstoffen hergestellt wurde. Das ist auch ein gesellschaftlicher Mehrwert. Ich bin der Meinung, das sollte sich auch im Preis ausdrücken, ähnlich wie im Supermarkt. Wenn Sie dort nachhaltige Produkte kaufen, dann zahlen Sie auch etwas mehr dafür. Nachhaltigkeit kostet Geld; man kann Nachhaltigkeit nicht zu Dumpingpreisen erzielen. Wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen.
Heger: Entscheidend ist die Zertifizierung. Damit können wir garantieren, wenn ein zertifiziertes Produkt eingesetzt wird, zum Beispiel gemäß Typ eins (gemäß DIN 4226-101/102 rezyklierte Gesteinskörnungen für Beton, Anm. d. Red.), dann entsteht hier qualitativ kein Nachteil gegenüber primären Produkten.
Was sind die nächsten Schritte und was ist Ihre Vision?
Heger: Dass wir es schaffen, langfristig dort, wo es ökologisch und ökonomisch Sinn macht, den maximalen Anteil an Abbruchmaterialien wieder zu verwenden und kurzfristig die bereits erzielten Erfolge – unter anderem mit rezyklierten Zuschlagstoffen für den Beton – kontinuierlich ausbauen.
Wittmann: Individualität ist natürlich ein Feature, das ein Architekt oder ein Planer nutzen kann, um auch den Bau insgesamt interessanter zu machen. Dazu müssen wir weiterhin Aufklärungsarbeit im Bereich rezyklierte Baumaterialien leisten und Architekten und Planer einladen, bei uns nachzufragen, was denn alles möglich ist. Sie können entscheidend dazu beitragen, dass Recyclingmaterialen Akzeptanz finden.
Im Gegenzug müssen sich Architekten und Planer aber auch der Herausforderung stellen, so zu planen, dass auch vernünftig wieder recycelt oder wieder verwertet werden kann. Denn Recycling fängt bei der Planung an!
Das Gespräch führte Conny Eck