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Der Fahrplan zur Klimaneutralität von Zement und Beton // Ausgabe 1/2024

On the road

Die CO₂-Roadmap des Vereins Deutscher Zementwerke e.V. (VDZ) verdeutlicht, dass die klimaneutrale Herstellung von Zement und Beton eine völlig neue Herangehensweise an die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette erfordert. Prof. Dr. Christoph Müller, Geschäftsführer VDZ Technology gGmbH sowie Abteilungsleiter Betontechnik, und Dr. Jörg Dietrich, Leiter Produktmanagement sowie Engineering & Innovation bei Heidelberg Materials, sprechen über den Weg der Zementindustrie in eine CO₂-freie Zukunft.

Material

context: Was ist die Kernaussage der CO2-Roadmap des VDZ?

Prof. Dr. Christoph Müller: Für die Roadmap haben wir uns vor etwa drei Jahren sehr intensiv mit der folgenden Frage beschäftigt: Wie können wir mit der Herstellung von Zement und Beton klimaneutral werden? Die Besonderheit bei der Herstellung von Zement ist, dass „Klimaneutralität“ nicht alleine mit der Umstellung auf erneuerbare Energien gelöst ist, weil wir einen hohen Anteil von Prozessemissionen haben. Der Grundstoff der Zementherstellung ist Kalkstein (CaCO3) und wenn dieses CaCO3 bei sehr hohen Temperaturen von 1450 Grad gebrannt wird, entweicht das CO2 aus dem CaCO3. Dabei entsteht Calciumoxid (CaO), welches für die Leistungsfähigkeit des Zementes gebraucht wird. Das bedeutet, selbst wenn wir ab morgen alle Zementwerke in Deutschland und auch weltweit mit erneuerbaren Energien betreiben würden, hätten wir immer noch einen hohen Anteil an CO2-Emissionen, da diese Kalksteinentsäuerung stattfindet. Die Kernaussage der CO2-Roadmap ist, dass wir trotzdem klimaneutral werden können. Wie das aussieht, haben wir in der CO2-Roadmap skizziert. Dabei haben wir nicht nur die Lösungsansätze betrachtet, welche im Zementwerk ergriffen werden müssen, sondern auch die ganze Wertschöpfungskette in den Blick genommen. Das heißt, die CO2-Roadmap richtet sich nicht nur an die Zementindustrie, sondern auch an die Betonhersteller, Planerinnen und Planer und die bauausführende Industrie. Für die Zementindustrie ist der wichtigste „konventionelle“ Hebel die weitere Reduzierung des Anteils gebrannten Kalksteins (der sogenannte Portlandzementklinker) in den Zementen. Um aber vollständig klimaneutral produzieren zu können, muss in den Zementwerken CO2 abgeschieden und dann gespeichert oder wiederverwertet werden, auch Carbon Capture and Storage/Utilisation (CCS/CCU) genannt.

Wie gelingt es, bauausführende Unternehmen von den CO2-optimierten Produkten zu überzeugen?

Dr. Jörg Dietrich: Das ist eine Herausforderung, die das Engagement aller Beteiligten fordert. Die Industrie muss ihre Hausaufgaben machen, CO2-reduzierte Zemente entwickeln und diese zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite muss aber auch die Gesellschaft in Form der Bauherren die Nachfrage nach diesen klinkerreduzierten Produkten erhöhen. Und zum Schluss benötigen wir auch die politischen Rahmenbedingungen als dritte ganz wichtige Komponente. Hier müssen Anreize geschaffen werden, um die Verwendung dieser klinkerreduzierten Zemente zu unterstützen, beispielsweise durch Förderprogramme oder Ausschreibung von nachhaltigen Zementen bei Projekten der öffentlichen Hand. Parallel müssen die neuen Zemente in einem zügigen Normungsprozess untergebracht werden.

Christoph Müller: Um die Produkte auf Baustellen nutzen zu können, muss eine transparente Kommunikation zwischen Herstellern der Zemente, der Transportbeton- und Fertigteilindustrie und den Bauunternehmen stattfinden. Da ist ein differenzierter Blick auf die Produkte von allen Beteiligten enorm wichtig, denn nicht in allen Bereichen kann der Klinkeranteil gleichermaßen reduziert werden. Die Praxis muss sich von dem „one size fits all“-Ansatz ein Stück weit verabschieden. Das Zusammenwirken der gesamten Wertschöpfungskette ist dabei entscheidend, um beispielsweise einen CEM II-C zu einem Standardprodukt in einem Großteil der Transportbetonanwendungen zu machen und dadurch die Klinkermenge weiter zu optimieren. Abgesehen davon gibt es, wie Dr. Dietrich bereits sagte, noch viel Optimierungspotenzial in allen Bereichen.

Hat Heidelberg Materials klinkereffiziente oder sogar schon CO2-freie Zemente und Betone im Angebot?

Jörg Dietrich: Heidelberg Materials hat eine transparente Strategie. Da es zum heutigen Tag technisch noch nicht möglich ist, dass bei der Zementproduktion anfallende CO2 im Produktionsprozess abzuspalten, haben wir aktuell auch noch keine CO2-freien Zemente und Betone in unserem Produktportfolio. Jedoch bieten wir bereits CO2-reduzierte Produkte an, wie unsere Zemente CEM II-B-M und CEM II-C-M. Diese enthalten zum Beispiel Kombinationen aus Hüttensand und Kalkstein, um den Klinkeranteil zu verringern. Dadurch ergibt sich beim CEM II/C-M eine CO2-Reduktion von etwa 40 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Portlandzement. Auf der Betonseite bieten wir unseren nachhaltigen EcoCrete an, welcher transparent am Branchen-Referenzwert des CSC gemessen wird und bis zu 66 Prozent CO2 einspart.

Im nächsten Jahr wird dann unsere erste große CCS-Anlage in Brevik (Norwegen) in Betrieb gehen. Dort ist es dann möglich, jährlich zirka 400.000 Tonnen CO2 abzuspalten und so CO2-freien Zement zu produzieren. Für Heidelberg Materials ein wichtiger Schritt – sozusagen der Startschuss! In Deutschland wird in Lengfurt im Jahr 2025 die erste CCU (Carbon Capture and Utilisation)-Anlage in Betrieb gehen. In 2029 startet in Geseke unsere bis dato größte CCS-Anlage und wird jährlich zirka 700.000 Tonnen CO2 abspalten. Damit wird Geseke das erste komplett CO2-neutrale Zementwerk in Deutschland sein. Überall dort, wo wir CO2 bei der Zementproduktion abspalten, speichern oder wiederverwenden können wir somit CO2-neutralen Zement produzieren.

Grüner Zement, CO2-optimierter Zement, CO2-neutraler Zement – gibt es in der Hinsicht auch noch Optimierungsbedarf und könnten einheitliche Definitionen helfen, um zum Beispiel Unklarheiten bei Ausschreibungen zu vermeiden?

Christoph Müller: Das wäre hilfreich. In Deutschland und auf europäischer Ebene sind wir in der Diskussion darüber, wie solche Definitionen aussehen könnten. Eine erste Definition für Beton wurde im CSC-System mit vier Levels getroffen. Diese Levels geben an, wie groß der CO2-Footprint eines Kubikmeters Beton im Vergleich zu Beton mit Portlandzement (Branchenreferenzwert) ist. Zudem befinden wir uns derzeit auch im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium. Es gibt eine laufende Initiative „Grüne Leitmärkte“, bei der die Begriffe „Low-Carbon-Cement“ und „Near-Zero-Cement“ im Raum stehen und eine Definition dafür erarbeitet werden soll. Jörg Dietrich hat ja schon zum Ausdruck gebracht, dass es aktuell ohne Kompensation kein klimaneutrales Produkt geben kann, da auch noch keine Anlage die Abscheidung vollumfänglich großtechnisch umgesetzt hat. Somit macht es keinen Sinn, heute schon einen CO2-freien Zement auszuschreiben, weil es ihn einfach noch nicht gibt. In den kommenden Jahren werden wir schrittweise Produkte mit immer geringeren CO2-Footprints entwickeln, indem wir kontinuierlich den Klinkerfaktor reduzieren. Die Abscheidung wird Schritt für Schritt hinzukommen. Wir halten es für äußerst wichtig, dass der Prozess der grünen Leitmärkte einheitlich und klar definiert wird, um sprachliche Verwirrungen zu vermeiden. Wir arbeiten daran und haben in 2023 weitere Fortschritte erzielt.

Die Zulassungen für die Anwendung von Zementen können auf die spezifische Leistungsfähigkeit zugeschnitten werden. Welche Vorteile bringt dabei die neue DIN 1045-2?

Christoph Müller: Im August wurde eine aktualisierte Version der DIN 1045-2 veröffentlicht, welche ganz wichtige Inhalte bezüglich klinkeroptimierter Zemente enthält. Die Norm beinhaltet nun Anwendungsregeln für Zemente wie CEM II-B-M oder CEM II-C-M, die bisher nur über Zulassungen akzeptiert wurden. Durch die Aufnahme dieser Anwendungsregeln in die DIN 1045-2 wird die Verwendung dieser Zemente in Betonkonstruktionen weiter vereinfacht. Das Normenpaket DIN 1045 unterstützt zudem den bereits diskutierten Punkt hinsichtlich der Zusammenarbeit der Wertschöpfungskette. Unter dem Stichwort Betonbauqualität (BBQ-Klassen) wird ein neues System eingeführt, welches die Kommunikation zwischen den verschiedenen Wertschöpfungsstufen hervorhebt und fördert. Auf diese Weise wird die Kooperation innerhalb der Wertschöpfungskette gestärkt und verbessert. Bei komplexen Bauaufgaben ist es enorm wichtig, dass die Planerinnen und Planer nicht etwas planen, was dann die Bauausführenden nicht umsetzen können. Zudem ist es wichtig, dass die Leistungsfähigkeit der Zemente und Betone bekannt ist. Das wird durch die neue Norm mit dem enthaltenen Kommunikationselement tatsächlich unterstützt.

Was in der aktuellen Betonnorm noch fehlt, ist die differenzierte Anwendung von Zementen beispielsweise mit geringen Klinkergehalten und hohen Anteilen an ungebranntem Kalkstein. Für solche Zemente gelingen die technischen Nachweise in den aktuell gültigen Formaten zum Teil nicht. In laufenden Zulassungen können nun über die Absenkung des Wasserzementwertes die Randbedingungen geschaffen werden, dass auch mit geringen Klinker- und hohen Kalksteingehalten die Dauerhaftigkeitsnachweise geführt werden können. Die differenzierte Anwendung von Zementen wäre dann auch ein Thema in einer zukünftigen Revision der Betonnorm.

Was können Planende, Betonherstellende und Bauausführende heute schon tun, um zur Dekarbonisierung der Bauwelt beizutragen?

Jörg Dietrich: Meiner Ansicht nach gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die ergriffen werden können. Der Schlüssel liegt darin, sich intensiv mit den Leistungseigenschaften neuer Zemente und Betone zu befassen, die auf dem Markt erscheinen. Es ist ganz klar, dass der Klinker in den Rezepturen immer noch der reaktivste Bestandteil ist. Wenn er in den Rezepturen reduziert wird und durch ein anderes Kompositmaterial ersetzt wird, das ebenfalls geeignet ist, ändert sich die Eigenschaft meines Betons oder Zements. Die Frühfestigkeiten werden insgesamt etwas moderater ausfallen. Aus diesem Grund benötigt die Bauausführung besondere Aufmerksamkeit und die Expertise sowohl für Planung als auch Bauausführung muss weiter ausgebaut werden. Zudem sollten sich Planende auch mit neuen Bautechniken beschäftigen, wie zum Beispiel dem 3D-Druck, bei dem eine Materialeinsparung durch einen sehr effizienten Materialeinsatz ermöglicht wird.

Welche Strategie leistet den größten Beitrag zur Dekarbonisierung von Zement und Beton?

Christoph Müller: In der Roadmap haben wir abgeschätzt, dass wir durch die Klinkerreduzierung die direkten Emissionen in der Zementindustrie in Deutschland um bis zu 20 Prozent senken können. Bezogen auf den gesamten Anteil der Materialeffizienzsteigerung (Zement, Beton und Konstruktion) könnten wir sogar eine Reduktion von 25 bis 30 Prozent erreichen. Wenn man bedenkt, dass wir in den letzten 30 Jahren zusammen etwa 25 Prozent reduziert haben, ist das eine beträchtliche Verbesserung. Letztendlich wird die größte Möglichkeit für weitere Reduktionen jedoch durch Abscheidemaßnahmen erreicht werden. Folglich sind der Klinkerfaktor und die Abscheidung die größten Hebel, um Emissionen in der Zementindustrie zu reduzieren.

Jörg Dietrich: Ein wichtiger Punkt – der allererste Schritt ist es, die Zemente mit weniger Klinker herzustellen und dort andere Kompositmaterialien einzusetzen. Darum sollten wir eine Strategie verfolgen, bei der wir das volle Potenzial der Klinkerreduzierung in allen Zementen ausschöpfen. Die Abscheidung, Wiederverwendung oder Einlagerung des CO2 (CCS/CCU) sind wichtige Hebel, um die Mengen CO2 abzuspalten, die wir nicht durch eine Verringerung des Klinkeranteils und einer Optimierung des Brennstoffmixes einsparen können.

Bis 2050 will die Zementindustrie klimaneutral sein. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren an, um dieses Ziel zu erreichen?

Christoph Müller: Das Wichtigste sind verlässliche Rahmenbedingungen. Gerade im Hinblick auf die CO2-Abscheidung benötigen wir eine CO2-Infrastruktur und große Mengen an erneuerbaren Energien, denn dieser Prozess ist sehr energieintensiv. Da ist die Politik gefordert, diese Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass die Industrie die enormen Investitionen, die damit verbunden sind, auch tätigen kann. Und es muss ein Sog vom Markt kommen, um es mal umgangssprachlich auszudrücken. Da erhoffen wir uns auch von der öffentlichen Hand gewisse Vorbildfunktionen. Das Wirtschaftsministerium ist schon aktiv geworden und unterstützt uns, sodass zukünftig die öffentlichen Auftraggeber unter dem Stichwort „Public Green Procurement“ eine entsprechende Vorreiterrolle einnehmen und dann die bis dahin einheitlich definierten Low-Carbon-Cements auch ausschreiben können. Das alles geht nur zusammen, das kann eine Zementindustrie alleine nicht leisten.

Jörg Dietrich: Das ist der wesentliche Punkt! Bei dieser großen Transformation, die vor uns liegt, können wir das nur gemeinsam schaffen und alle Beteiligten müssen mitspielen. Ich sehe aber auch von allen Seiten sehr positive Signale. Von der Zementindustrie und auch vom VDZ wird sehr viel investiert, um auf der technischen Seite voranzukommen. Auch die Politik hat verstanden, dass es nur funktionieren kann, wenn die verlässlichen Rahmenbedingungen da sind. Jetzt wird es darauf ankommen, das alles umzusetzen und nicht nur zu planen. Die klinkereffizienten Zemente müssen Massenzemente werden, die Projekte müssen darauf zugeschnitten sein und die politisch Verantwortlichen müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit am Ende die Transformation gelingt. Es kann nur gemeinsam gehen.

Info zu Grafiken: Vom Baustoff zum Bauteil: CO2-optimierte Deckensysteme

Die Umsetzung der ambitionierten CO2-Roadmap fängt auf Baustoffebene an. Bereits heute können wir durch klinkereffiziente Zemente und CO2-reduzierten Beton einen signifikanten Beitrag zu nachhaltigen Gebäuden leisten. Immer wichtiger wird dabei der enge Kontakt zu Architekten und Planerinnen. Denn für ein nachhaltiges Gebäude müssen CO2-reduzierte Baustoffe und eine intelligente Konstruktion Hand in Hand gehen. Dazu ist eine enge Abstimmung bereits im Planungsprozess entscheidend. Wichtig dabei: die ganzheitliche Betrachtung eines Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus von der Herstellung über die Nutzung bis zum Lebensende (Ökobilanz). Die auf unabhängigen wissenschaftlichen Daten basierende Ökobilanz zeigt das Global Warming Potential (die CO2-Emissionen) unterschiedlicher Gebäudedeckenkonstruktionen (Heckmann/Glock 2023; Abbildung 1).

Durch den Einsatz unserer CO2-reduzierten EcoCrete-Betone in Kombination mit innovativen Bauteilkonstruktionen (z.B. Betonhohlkörperdecken), ist es beispielsweise möglich, die CO2-Emissionen in Deckenkonstruktion deutlich zu reduzieren (Abbildung 2). Die über den Lebenszyklus solcher Betonkonstruktionen erreichbaren CO2-Emissionen sind dabei mit denen einer Holzkonstruktion vergleichbar. Betonkonstruktionen trumpfen darüber hinaus mit weiteren Stärken wie hoher Dauerhaftigkeit, sehr gutem Brandverhalten und hoher Recyclingfähigkeit auf.

Durch konsequente Anwendung der Hebel aus der CO2-Roadmap stehen also alle Möglichkeiten für eine nachhaltige Betonbauweise offen.

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