Schon als die Kinder noch klein waren, sprachen die befreundeten Ehepaare Gramlich und Uhl davon, später gemeinsam in eine Alters-WG zu ziehen. Als die Kinder erwachsen und ausgezogen waren, schauten sie sich mehrere Wohnhöfe an und stellten fest, dass nur mit Älteren zusammen zu leben nicht die richtige Wohnform für sie ist. Ein Vortrag von Henning Scherf, dem ehemaligen Regierungschef von Bremen und seit 30 Jahren selbst Experte für das generationsübergreifende Wohnen, begeistert beide Paare: „Wir fanden den Gedanken schön, gemeinsam Spaß zu haben, sich zu helfen und zu ergänzen. Voraussetzung ist natürlich, Menschen zu finden, die passen und auch Lust haben, mitzumachen“, erinnert sich Andrea Gramlich. Die Ideenreifung für das Projekt war ein langer und lebendiger Prozess – so gründeten die beiden Paare erst einmal den nicht eingetragenen Verein „Generationsübergreifendes Wohnen in Walldorf“, um damit die Planungsphase einzuleiten. In dieser Phase haben die Ehepaare einen Wertekodex erarbeitet und zu Papier gebracht.
Auch die Stadt Walldorf unterstützte das Projekt, war bei der Grundstückssuche behilflich und schließlich stellte der Gemeinderat für das passende Grundstück eine Kaufoption von zwei Jahren zur Verfügung. In diesem Zeitraum mussten die zukünftigen Bewohner gefunden und ein Rohkonzept erstellt werden. Den Zuschlag für das beste Konzept erhielt das Ingenieur- und Architekturbüro Herrmann-Bechtold aus Walldorf. Mit einer öffentlichen Infoveranstaltung in Walldorf wurde das Projekt über 100 Teilnehmenden von Cornelia Loidolt und Werner Herrmann als Vertreter der Planungsbüros und den Eheleuten Gramlich und Uhl vorgestellt: Für jede Wohnpartei sind die eigenen vier Wände als Rückzugsort mit grüner Oase und gleichzeitig Gemeinschaftsflächen für vielfältige Nutzungsmöglichkeiten vorgesehen.
Werte wie Toleranz, die Bereitschaft zur Konfliktlösung, Offenheit für andere Religionen und Kulturen sowie Tierfreundlichkeit waren uns besonders wichtig.
Manfred Uhl
„Von Anfang an waren uns die Gemeinschaftsräume sehr wichtig. Immer wenn es um Kostenkalkulationen ging, waren sie gefährdet, denn diese Räume kosten viel Geld. Die Gemeinschaftsräume geben uns die Sicherheit, dass wir später auch wirklich was gemeinsam machen. So hat sich auch gezeigt, wer wirklich dabei sein will und bereit ist, diese Gemeinschaftsflächen mitzufinanzieren“ sagt Klemens Gramlich. „Wir haben die Leute nicht einfach ausgewählt, sondern die Interessierten eingeladen, sich in mehreren Arbeitsgruppen zu organisieren, zum Beispiel in einer Architekturgruppe oder einer, die Begegnungstreffen organisiert. Ein Drittel der gemeinsamen Zeit verbrachten wir mit Freizeitaktivitäten. So hat sich schnell herauskristallisiert, für wen das Projekt in Frage kam und wer auch in die Gemeinschaft passt“, ergänzt Andrea Gramlich. In der Gruppe sollte für jedes Problem eine Lösung gefunden werden, mit der sich jeder wohlfühlt. Wenn es nötig war, wurden auch externe Berater zu Hilfe geholt. Nachdem das Grundstück gekauft war und die Bauphase begann, wurde der Verein in eine GbR umgewandelt und fünf Mitglieder zu Geschäftsführer/innen gewählt. Sie begleiteten die komplette Bauphase, organisierten und strukturierten das Projekt und haben damit erheblich zum Gelingen beigetragen.
Cornelia Loidolt erinnert sich: „Das war ein Projekt, bei dem es ganz stark um den inhaltlichen Konzeptgedanken ging. Die Baugruppe wusste genau, wie sie leben wollte, aber nicht, wie das Haus dazu aussehen sollte – das war dann unsere Aufgabe. Es waren sehr viel Zeit und Gespräche nötig, um zu klären, was das Haus können musste. Als die Randbedingungen klar waren, hat sich auch die Geometrie schnell gefunden. Vom ersten Treffen bis zum Baubeginn sind drei Jahre vergangen. „Ein Bild hat uns während der Entwurfsphase ständig begleitet: Eine junge und eine alte Hand umschließen eine gemeinsame Mitte. Uns war sehr wichtig, dass es wirklich ein Haus ist, daher gibt es auch nur einen Eingang. Von dort aus treffen sich alle in der Mitte. Diese besteht aus zwei Atrien, eines ist zum Toben und Spielen und das andere, um etwas Ruhe zu genießen.“ Die Atrien sind als Gemeinschaftsflächen vorgesehen und haben jeweils einen hohen Luftraum mit einem zehn mal zehn Meter großen, verglasten Dach. Eine Akustikdecke, in der die Beleuchtung integriert ist, sorgt für eine angenehme Geräuschkulisse. Die Wohnungen im dreigeschossigen Gebäude gliedern sich galerieähnlich um die Atrien und können durch diese in den dort angelegten großzügigen Treppenläufen intern erschlossen werden. Im Erdgeschoss gibt es noch einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und Toilette, der für alle nutzbar ist. Die Oberflächen sind in warmen, erdigen Farben gehalten und die Böden in den Gemeinschaftsbereichen mit einem roten Linoleum ausgestattet. Ein gemeinsamer Werkraum und eine 230 Quadratmeter große, teilweise überdachte Dachterrasse mit einer Außenküche bieten weitere Möglichkeiten der Begegnung. Um auch privaten Rückzugsorten Raum zu geben, hat jede Wohnung einen großzügigen Balkon, der jeweils verspringt, um genügend Privatsphäre zu bieten. Die Wohnungsgrößen reichen von 35 bis zu 140 Quadratmetern. Die Grundrisstypologie, die Fassadengestaltung und das Ausstattungskonzept für Bäder und Küchen standen fest, aber bei den restlichen Wohnräumen wurden die individuellen Wünsche der Bewohnenden berücksichtigt. Ein Apartment bleibt frei, es kann entweder von Gästen oder von Pflegepersonal genutzt werden.
Die Planung hatte natürlich auch eine Gruppendynamik und es war für uns eine Herausforderung, bei der viel Geduld gefordert war. Die Familien Gramlich und Uhl sowie die GbR-Geschäftsführung haben das ganze Projekt sehr menschlich und mit viel Besonnenheit und Ruhe beeinflusst. Es war erstaunlich, wie alle Mitglieder auf die Kompetenz des anderen vertraut haben, ohne sich einzumischen. Es gab für alles Arbeitsgemeinschaften, bis hin zum Stühle streichen.
Cornelia Loidolt, Architektin
Das Haus ist als Passivhaus aus Kalksandstein mit einem Wärmedämmverbundsystem konzipiert. Die Putzfassade ist in einem hellen Erdton gehalten, dazu hat jeder Balkon eine Markise in einem warmen Rotton. Die Wohnungen sind mit Fußbodenheizung und einer Wärmerückgewinnung ausgestattet. Bauleiter Clemens Schütz: „In den ganzen Wohnungen und Feuchträumen ist der Fließestrich CemFlow und in den großen Bereichen der Gemeinschaftsräume der Anhyment von Heidelberger Beton genutzt worden. Wie alle Entscheidungen haben wir auch diese in der Gruppe ausdiskutiert und alle haben sich für diese hochwertigen Produkte entschieden.“
Das Wohnen in einem Mehrgenerationenhaus lebt von der Gemeinschaft und bietet Vorteile für jede Altersklasse, denn alle können sich gegenseitig unterstützen. Ende September 2021 sind die Bewohner eingezogen, dann startete das eigentliche Abenteuer „Gemeinsam statt einsam“. Von den bunt gemischten Bewohnenden ist die jüngste zwei und die älteste 84 Jahre alt. Auch eine Handicap-WG mit vier jungen Leuten ist dabei. Dazu kommen noch fünf Hunde, eine Katze sowie drei Kaninchen. Monika Uhl: „Ich freue mich besonders auf die gemeinsamen Feste, die wir als Gemeinschaft erleben werden.“ Das erste Fest steht auch schon fest: Die Taufe von drei Geschwistern aus dem Wohnhof!
Melanie Kotzan
Objektsteckbrief
Projekt: Mehrgenerationenhaus, Walldorf
Bauherr: Euroboden GmbH, Grünwald
Architekt: Architekturbüro Bechtold GmbH, Walldorf
Statik: Ingenieurbüro Herrmann, Walldorf
Bauherr: private Bauherrengemeinschaft
Bauleitung: Heller & Schütz Bau- und Projektmanagement GmbH, Karlsruhe
Fließestriche:
Heidelberger Beton GmbH, Eppelheim
52,5 Kubikmeter CemFlow, Güteklasse CTF C30 F5
32,0 Kubikmeter Anhyment, Güteklasse CAF C25 F5