Sei es die Beseitigung von Abfall und Sperrmüll der Haushalte, die Straßenreinigung oder Schadstoffannahme: Einsammlung und Transport erfolgt in Mainz, anders als bei manch anderer Kommune, aus einer Hand. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gehörte die Stadtreinigung in Mainz zu den städtischen und öffentlichen Aufgaben. Heute beschäftigt der Entsorgungsbetrieb der Stadt 500 Mitarbeiter.
Zurückgeworfen auf die eigenen vier Wände haben viele den Corona-Lockdown genutzt, um auszumisten und Keller und Garagen von längst Überfälligem zu befreien. Auch in normalen Zeiten fallen in Mainz, mit 220.000 Einwohnern eine der kleineren Landeshauptstädte, jährlich rund 56.000 Tonnen Hausmüll, 18.000 Tonnen Grünschnitt und Bioabfall, 15.000 Tonnen Papier und Kartonagen, 7.500 Tonnen Sperrmüll und 4.500 Tonnen gelbe Säcke an. Auch die tägliche Leerung Tausender von Papierkörben im öffentlichen Raum sowie der Winterdienst mit Räumfahrzeug oder Schippe und Besen gehören zum Aufgabengebiet.
Entwicklung der Recyclingwirtschaft
Früher wurde der Abfall abgelagert. Doch eine Gesetzesänderung Anfang der 2000er Jahre hatte die Schließung der städtischen Deponie zur Folge. Neben einem renaturierten Kalksandsteinbruch ist die ehemalige Halde inzwischen so perfekt aufbereitet, dass die Überbleibsel – gut gesichert – Grundlage eines Golfplatzes in wunderschöner Landschaft sind. Auch die stete Überwachung dieser Altlasten etwa in Bezug auf Gasführung oder Grundwasserprüfung obliegt dem Entsorgungsbetrieb.
Der Bauherr wollte, seinem eigenen Aufgabenbereich gemäß, bewusst verbauen, was woanders als Abfall anfällt.
Bodo Wollny, Heidelberger Beton GmbH
Viele der heute anfallenden Abfälle können der Recyclingwirtschaft zugeführt oder kompostiert werden. Der Rest wird verbrannt, zu Strom und Heißdampf verwandelt und vom städtischen Fernwärmenetz genutzt. War in den letzten Jahren das Abfallaufkommen leicht steigend, so wird inzwischen der Anteil der Verbrennung geringer, da nun viel mehr verwertet wird.
Als wirtschaftlich agierender, kommunaler Eigenbetrieb erhält das Mainzer Unternehmen für die zigfachen Aufgaben keine öffentlichen Gelder, sondern muss mit den Gebühren auskommen, die der jeweilige Haushalt abführt. Das gelingt mehr als ordentlich. Der Entsorgungsbetrieb wirtschaftet so gut, dass seit fast 20 Jahren die Gebühren stabil bleiben konnten.
Inzwischen liegt in Mainz der Schwerpunkt bei der umweltschonenden Entsorgung von privatem und gewerblichem Abfall vorrangig auf Verwertung und Abfallvermeidung. Seit Jahren schon wächst die Zahl der Mitarbeiter und deren Raumbedarf. Benötigt werden heute mehr Büro- und Kommunikationsflächen, desgleichen Lagerräume für die Rechnungs- und Aktenarchivierung. Auf Initiative des ersten Werkleiters Hermann Winkel ist daher am Hauptstandort ein Neubau entstanden, der voraussichtlich Mitte kommenden Jahres bezogen wird.
R-Beton für das eigene Büro
Es leuchtet ein, dass der Entsorgungsbetrieb der Stadt exemplarisch zeigen wollte, was an Nachhaltigkeit und Einsatz von innovativen Werkstoffen möglich ist. So gab der Bauherr für die Konstruktion des energieeffizienten und nachhaltigen Bürobaus ausdrücklich ressourcenschonenden Beton (R-Beton), der im Sprachgebrauch unter „Recyclingbeton“ firmiert, als Werkstoff vor.
„Der Zustand des 50 Jahre alten Vorgängers hat die Entscheidung für den Abriss und die Errichtung eines größeren, zeitgemäßen Bürogebäudes erleichtert“, meint Christian Hess, der als Projektleiter des Bauherrn den Neubau begleitete. „Der Bestand hat heutigen Ansprüchen und Umweltstandards nicht mehr entsprochen.“ Der Auftrag zur Planung des Neubaus ging an das Architekturbüro Plum und Schlemmer. Die Architekten aus Mainz hatten an diesem Standort bereits ein neues Kantinengebäude für den Entsorgungsbetrieb realisiert. Zielvorgabe für den Bürobau war, das komplexe Raumprogramm in einem Gebäude zu vereinen.
Mit R-Beton zu bauen war Vorgabe des Bauherrn, der ja mit Recyclingwirtschaft zu tun hat. Für uns war das kein Problem.
Otmar Schlemmer, Architekt
Rechnerisch gäbe es bei der Konstruktion mit R-Beton kaum Unterschiede, meint Architekt Otmar Schlemmer. Ihm zufolge könnte es allerdings noch einfacher sein, wenn ihn viele bestellen würden.
Der Neubau fasst nun alle Funktionen unter einem Dach zusammen. Die Stirn des dreigeschossigen, (teil-)unterkellerten Baus ist abgeschrägt. Dies bewirkt, dass der barrierefreie Zugang betont wird und sich der Blick in Richtung Betriebshof weitet. Der Kunstgriff, der sich im Innern auch im Grundriss abzeichnet, schafft einen offenen, bequemen Zugang, mit dem geschickt auf die sehr eingeengte Situation im Betriebshof reagiert wurde. Den großzügigen Eindruck verstärkten die Architekten, indem sie das zweite Geschoss über dem Eingang auskragen ließen. Dort, hinter vollflächiger Verglasung, befindet sich nun in exponierter Lage der Konferenzraum, dahinter liegen Büros, Schulungs- und Besprechungsräume. Wie im abgerissenen Bestand ist im Erdgeschoss des Büroneubaus der Betriebsdienst der Straßenreinigung untergebracht. Darüber hinaus können auch Sozialbereiche und Sanitäreinrichtungen für die temporären Mitarbeiter, etwa des Winterdienstes, integriert werden.
R-Beton durch Heidelberger Beton entwickelt
Für Bodo Wollny, Prüfstellenleiter der Qualitätsüberwachung bei Heidelberger Beton GmbH, Region Süd-West, ist das Projekt in Mainz das zweite R-Beton-Projekt innerhalb von fünf Jahren, das er entwickelt und betreut hat. Der von ihm konzipierte Beton beinhaltet rezyklierte Gesteinskörnungen, also mineralische Zuschläge, die aus fachgerecht aufbereitetem Altbeton bestehen, außerdem Flugasche, ein Abfallprodukt aus der Kohleverstromung sowie Brauchwasser, da hier keine Sichtbetonanforderung vorlag.
Bereits beim Bau seines Umweltbildungszentrums hatte sich der Bauherr für R-Beton entschieden. Bei der erneuten Konzeption empfahl Betontechnologe Bodo Wollny fast die gleiche Rezeptur. Eine Zustimmung im Einzelfall hatte das Projekt damals erhalten. Der Splitt-Lieferant Scherer und Kohl hat inzwischen eine Zulassung für seinen R-Beton-Splitt. Einige Bauteile des Gebäudes mit höheren statischen Anforderungen an die Festigkeit und Tragfähigkeit, etwa die besonders tragfähigen Stützen, wurden ohne R-Beton realisiert. Mit insgesamt rund 1.100 Kubikmeter Volumen im Vergleich zum Umweltbildungszentrum mit 660 Kubikmetern konnte jedoch ein Großteil der Betonbauteile damit hergestellt werden.
R-Beton fehlt noch der Durchbruch
Woran liegt es also, dass mit R-Beton, der vielen als „Werkstoff der nächsten Generation“ gilt, anders als etwa in der Schweiz oder den Niederlanden, so selten gebaut wird? „Wenn keine Lieferanten regional verfügbar und damit ein Lieferant des benötigten Splitts zu weit entfernt ist, macht es aus CO2-Einspargründen keinen Sinn, R-Beton zu verwenden“, meint Bodo Wollny. Dass das rezyklierte Splittkorn eine unterschiedliche Dichte zu natürlichen Körnungen hat oder der Wasserzementwert ein anderer ist, spielt für Architekten und Bauherrn keine Rolle, das wird bei der Rezeptur berücksichtigt. Die regelmäßige Überwachung muss bei der Herstellung des Betons und beim Bau gemäß Übereinstimmung mit den geltenden Regelwerken gegeben sein.
Bezüglich R-Betons sind die Betonwerke aufgrund der Lagerkapazität logistisch gefordert, das liegt an der bislang geringen Nachfrage. Dass sich dies ändert, dazu könnte auch der exemplarische Mainzer Neubau beitragen. Dessen Architektur soll den Entsorgungsbetrieb, gemäß der Corporate Identity, in abstrahierter Form repräsentieren. Liegende Fensterbänder wechseln mit Bekleidungselementen einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade ab. Ein farblich in grün abgesetztes Fassadenband wird dabei weithin an das Logo des Entsorgungsbetriebes erinnern.
Über den R-Beton der Heidelberger Beton GmbH
Beim neuen Verwaltungsgebäude in Mainz kam ein Portlandhüttenzement CEM II/B-S 42,5 N, mit 8/16er R-Betonsplitt zum Einsatz. Bei der Entwicklung des Betons hatte Heidelberger Beton bereits im Vorfeld diverse Prüfungen vorgenommen, etwa bezüglich Druckfestigkeit, E-Modul oder Wasserzementwert. Bei der Produktion im Betonwerk wurde Zement mit Wasser und 32 Prozent rezykliertem Splitt, Typ 1, zusammen mit 40 Prozent natürlichem Sand und 28 Prozent natürlicher Körnung sowie Flugasche gemischt. Die vom Gesetzgeber mittels einer Norm vorgeschriebene Höchstgrenze von 35 Prozent an rezykliertem Splitt wurde nicht voll ausgereizt, weil sich die bereits bekannte Rezeptur bewährt und eine optimale Sieblinie für einen pumpfähigen Beton ergeben hatte. Der für dieses Bauvorhaben eingesetzte R-Beton hat eine F4-Konsistenz und die Expositionsklasse XC4, XF1; er kann ebenso als WU-Beton eingeplant werden. Die RC-Körnung stammt von der Firma Scherer und Kohl aus Ludwigshafen, einem der ausgesuchten Unternehmen in Deutschland, die sich auf Recycling-Material, das sich für die Betonproduktion eignet, spezialisiert und eine Zulassung für den R-Beton-Splitt haben.
Text: Susanne Ehrlinger
Objektsteckbrief
Projekt: Verwaltungsgebäude Stadt Mainz
Bauherr: Entsorgungsbetrieb der Stadt Mainz
Architekt: PLUM & SCHLEMMER, ARCHITEKTUR & PLANUNG, Mainz
Bauunternehmen: Herbert Dillig GmbH & Co. KG, Simmern
Beton: 1.100 m3 R-Beton C 25/30 XC4, XF1, F4 CEM II/ B-S 42,5 N, 32 % R-Splitt Typ 1, Größtkorn 8/16
Lieferwerk: Betonwerk der Heidelberger Beton GmbH, Ingelheim
Material für R-Beton: 32 % R-Splitt, Größtkorn 8/16, Scherer und Kohl GmbH & Co. KG, Ludwigshafen
Fertigstellung/Bezug: Sommer 2021