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Spannungsfeld Leitstand – ein häufig unterschätzter Arbeitsplatz // Ausgabe 3/2018

Jetzt erst recht

Als Leitstandfahrer im Zementwerk Geseke hat Frederik Wernze seinen Traumjob gefunden. Eine Geschichte über das Reinwachsen in die Verantwortung.

Porträt

Das Funkgerät knarzt: „Ja?“ – „Die Stromaufnahme vom Sichter an der Rohmühle zieht an und fällt dann wieder auf einmal um 20 Ampere ab. Ich vermute, die Pendelklappe hängt fest“. Kurze Stille. Wieder knarzt das Funkgerät: „Alles klar, ich schaue nach.“

Wir stehen im Leitstand des Zementwerks Geseke und schauen dem schichthabenden Leitstandfahrer Frederik Wernze über die Schulter. „Wenn eine Warnmeldung auftaucht, versuche ich zuerst die Ursache einzugrenzen und mit den Möglichkeiten, die ich habe, dagegen zu steuern. Wenn ich damit nicht weiterkomme, informiere ich den Schichtführer und den Kollegen vor Ort“, erklärt er uns.

Wir schauen uns um. Auf einem rund 15 Meter langen Steuerpult stehen etwa 20 Bildschirme nebeneinander. Von hier aus lassen sich anhand digitaler Steuerungstechniken alle Prozesse der Zementproduktion – von der Rohmehlmahlung über den Brennprozess bis zur Lagerung und Verladung – beobachten und regeln. An der Wand hängen weitere Monitore, die Kamerabilder der Ofenflamme, der Mühlen, der Förderbänder und aller anderen wichtigen Bereiche aus dem ganzen Werk liefern. Immer zwei Mitarbeiter – ein Leitstandfahrer und ein Elektromeister – überwachen die Systeme im Schicht-System. 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Der Leitstand ist das Gehirn eines Zementwerks. Alle Impulse kommen hier an und müssen im Auge behalten werden.

Frederik Wernze selbst ist im Zementwerk Geseke „groß“ geworden. Nach einer dreieinhalbjährigen Lehre zum Industriemechaniker war er zunächst zehn Jahre lang Schlosser, ehe er sich entschied, die sechsmonatige Weiterbildung zum Leitstandfahrer zu machen, um im Anschluss eigentlich Schichtführer zu werden. Doch dann merkte er, dass er im Leitstand „seinen Traumjob gefunden hat“, wie der 36-jährige selbst sagt. Der Beruf Leitstandfahrer lebt von Quereinsteigern – eine reine Ausbildung dafür gibt es nicht.

Wenn man etwas verändern und bewegen will, muss man Verantwortung übernehmen.

Frederik Wernze

Dass dieser Job aber auch viel Verantwortung mit sich bringt, war ihm anfangs gar nicht so bewusst. Doch „das ist ein Prozess, in den man reinwächst“ erinnert sich Wernze und berichtet uns von seinem persönlichen Schlüsselerlebnis: Noch während seiner Anlernphase auf dem Leitstand stieß er – nach einer Nachtschicht mit massiven Störungen am Ofen und der Rohmühle – fast an seine mentalen Grenzen. „Da kam ich auf allen Vieren nach Hause zu meiner Frau und habe gesagt: Ich bin fertig, ich kann nicht mehr, ich schaffe das nicht.“ Für ihn war hier klar: Aufgeben oder Zähne zusammenbeißen. „Ich bin ein Typ, den es aufregt, wenn er etwas nicht hinbekommt. Also bin ich schlafen gegangen, am späten Nachmittag wieder auf die Nachtschicht und habe mir gesagt: Jetzt erst recht!“

„Im Leitstand musst du damit klarkommen, dass du Verantwortung trägst – nicht nur für Maschinen, sondern auch für deine Kollegen, denn die verlassen sich auf dich“, sagt Wernze und schaut uns mit festem Blick an. Hier seien in jeder Schicht Entscheidungen gefordert, die man hinterher auch mit gutem Gewissen vertreten können muss. „Doch zu schaffen ist das alles nur mit einem gutem Team und dem nötigen Fingerspitzengefühl.“ „Fingerspitzengefühl?“ fragen wir nach. Frederik Wernze schaut uns verschmitzt an: „Zementöfen lieben Konstanz. Daher gilt: Veränderungen nur so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig zum richtigen Zeitpunkt“.

Veränderung und Verantwortung sind also eng miteinander verknüpft. „Wenn man etwas verändern und bewegen will, muss man Verantwortung übernehmen“, ist Frederik Wernze überzeugt. Das gelte auch für das Privatleben – erst recht als Familienvater, ergänzt er. Auf seine Tochter angesprochen wird er kurz nachdenklich. „Diesen Teamgedanken – also für Freunde, aber auch die Kollegen und die Firma da zu sein und einzuspringen, wenn Unterstützung und Hilfe benötigt wird – dieses Bewusstsein für Verantwortung würde ich meiner Tochter gerne mit auf den Weg geben“, erklärt er. „Denn das bekommt man von seinem beruflichen und privaten Umfeld wieder zurück.“

Menschen, die gerne Verantwortung übernehmen, wollen früher oder später meist noch höher hinaus und weiter kommen. Frederik Wernze hingegen sagt: „Ich bin jetzt 36 Jahre alt und habe meinen Traumjob gefunden. Vor allem aber haben meine Frau und ich eine gesunde Tochter und damit bin ich sehr zufrieden.“ Das Funkgerät meldet sich wieder. Frederik Wernze muss weiter arbeiten. Die Verantwortung ruft.

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