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Professor Manfred Curbach und Dr. Jennifer Scheydt im Gespräch // Ausgabe 1/2021

Graue Revolution

Hintergrund der Erforschung innovativer Bauweisen und Materialien wie Carbonbeton ist vor allem die Dringlichkeit, im Bausektor in noch größerem Ausmaß Umweltaspekte zu berücksichtigen und Klimaschutz zu forcieren. Daher unterliegt die gesamte Wertschöpfungskette der Zementindustrie einem spannenden Transformationsprozess.

Forschung

Copyright: Iurii Vakaliuk/TU Dresden

Wir bauen seit 150 Jahren sehr erfolgreich mit Stahlbeton. Was ist nun an Carbonbeton so zukunftsweisend?

Manfred Curbach: Tatsächlich ist Stahlbeton eine Kombination aus zwei hervorragenden Materialien, die im Verbund fantastisch wirken. Beton hat eine hohe Druck-, aber eine sehr geringe Zugfestigkeit. Zur Aufnahme der Zugkräfte setzen wir in den Konstruktionen Stahl ein. Doch Stahl kann korrodieren. Ist Stahl im Beton entsprechend dick ummantelt, ist er passiviert und gegen Korrosion geschützt. Dafür brauchen wir eine massive Überdeckung und haben folglich sehr schwere Bauteile. Wenn ein Carbonatisierungsprozess allerdings Korrosion auslöst, dann bläht sich der Stahl von innen auf, es kommt zu Betonabplatzungen, letztlich ist die Tragfähigkeit der Konstruktion gefährdet.

Ist Carbonbeton, also Beton mit einer Bewehrung aus Carbon, die bessere Lösung?

Curbach: Dass Stahl, weil er eben rosten kann, nicht das ideale Bewehrungsmaterial ist, hat man von Anfang an diskutiert und nach Alternativen gesucht. Anfang der 2000er Jahre begann man, sich mit Carbon zu beschäftigen. Carbon hat einen großen Vorteil, es ist völlig inert gegenüber allen anderen Materialien, hat überhaupt keine Lust, sich mit etwas zu verbinden. Es ist sehr dauerhaft und muss im Beton nicht geschützt werden, so kann man die Betonüberdeckung auf das Maß reduzieren, das man braucht, um die Kräfte in das Carbon einzuleiten, und das sind tatsächlich nur noch ein, zwei Millimeter. Bezogen auf die Leistungsfähigkeit ist Carbon heute auch günstiger als Stahl.

Wie müssen wir uns eine Carbonbewehrung vorstellen?

Curbach: Es gibt verschiedene Bewehrungsformen. Es werden Gelege hergestellt, bei denen die einzelnen Fasern im rechten Winkel übereinandergelegt, maschinell mit einem Faden verbunden und etwa mit Epoxidharz, Polyacryl oder Styrol-Butadien getränkt werden. Danach gleicht das Gelege einer relativ steifen Gardine. Eine andere Bewehrungsart bieten sechs, acht oder zehn Millimeter dicke Stäbe, die bei gleicher Tragfähigkeit wie Stahl extrem viel dünner sind.

Welcher Beton ist für Carbonbeton sinnvoll?

Jennifer Scheydt: Als Nachhaltigkeitsziel haben wir ja, neben der Haltbarkeit, vor allem auch Ressourceneinsparung und Reduzierung von CO2 im Blick, daher ist das übergeordnete Ziel, möglichst schlank zu bauen. Je fester ein Beton, also je widerstandsfähiger er ist, desto dünner und schlanker lässt sich mit diesem bauen. Daher eignet sich gerade hochfester Beton zum Einbau in Carbonbeton, besonders in Hinblick auf die Maximierung der Schlankheit eines Bauteils und damit auch im Hinblick auf die maximale Ressourceneinsparung.

Der Forschungsverbund „C3 – Carbon Concrete Composite“, den Sie, Manfred Curbach, 2014 mitinitiiert haben, ist derzeit die größte Forschungsgemeinschaft im deutschen Bauwesen und längst ein interdisziplinäres Netzwerk. Warum hat sich HeidelbergCement hier früh engagiert?

Scheydt: Ab 2015 habe ich mich intensiver mit diesem Baustoff, auch in Hinblick auf seine Marktrelevanz, beschäftigtundbeiHeidelbergCement angeregt, dem Verein C 3 – Carbon Concrete Composite beizutreten, ihn zu unterstützen und auch zu partizipieren. Das Ziel von Professor Curbach und seinem Team ist ja die Überführung dieser nachhaltigen und ressourcensparenden Betonbauweise in die Praxis und das ist auch für uns extrem relevant. Wir engagieren uns, damit Forschungsaktivitäten den Übergang zur Praxis schaffen und nicht nur Gebilde im Elfenbeinturm bleiben. Das forcieren wir gemeinsam mit dem Verein

Und wie passt Carbonbeton in die Strategie von HeidelbergCement?

Scheydt: HeidelbergCement sieht sich in puncto klimaneutraler Beton in einer Vorreiterrolle. Wir streben bis 2050 an, die komplette Wertschöpfungskette nach diesem Kriterium zu gestalten und auch CO2 -neutralen Beton anbieten zu können. Auf dem Weg dorthin sind verschiedene Hürden zu nehmen. Tatsächlich kann die Transformation nur funktionieren, wenn die Dekarbonisierung der kompletten Wertschöpfungskette gelingt. Aber die wichtigste Aufgabe dabei ist und bleibt, den CO2 – Ausstoß bei der Klinkerproduktion zu reduzieren, Klinker im Zement zu reduzieren, Zement im Beton zu reduzieren und Beton im Bauteil zu reduzieren. Und das unabhängig von all den Maßnahmen, die zusätzlich geplant sind. Mit weniger Beton im Bauteil sind wir dann direkt beim Carbonbeton, mit dem ich schlank bauen kann, weil ich keine Rücksicht mehr auf die Stahlbewehrung nehmen muss. Eine nicht korrodierende Carbonbewehrung muss ich nicht schützen, ich kann sie rein konstruktiv im Beton platzieren und dann – wie schon erwähnt – schlank und mit viel weniger Ressourcenverbrauch bauen.

Gibt es Zahlen bezüglich der möglichen CO2 -Einsparung durch Carbonbeton

Curbach: Das hängt stark vom jeweiligen Bauteil ab. Relativ leicht ist es, ungefähr 50 Prozent an Beton einzusparen, bei manchen Konstruktionen sind bis zu 80 Prozent möglich. Ohne Stahl brauchen wir auch nicht mehr diesen hohen pH-Wert im Beton, das heißt, wir können auf andere Bindemittel umsteigen, brauchen keinen CEM I mehr, sondern nutzen alternative Bindemittel, die bei ihrer Herstellung deutlich weniger CO2 ausstoßen oder erzeugen. Das bedeutet, wenn ich 50 Prozent Beton spare, kann ich ungefähr 70 Prozent CO2 sparen. So habe ich zwei große Vorteile: Ich spare jede Menge Ressourcen, brauche also auch weniger Sand, der in einigen Gebieten der Erde schon sehr knapp wird, und ich reduziere auch den CO2 -Ausstoß. Als dritter Vorteil gilt die lange Lebensdauer. Der Beton, den wir verwenden, ist wesentlich dichter, oft hat er ein kleineres Größtkorn, hat eine höhere Festigkeit, ist damit widerstandsfähiger gegenüber chemischem Angriff. Mit dem nahezu unverwüstlichen Carbon im Beton hält dieser viel länger als Normalbeton, das können durchaus 200 Jahre sein. Wenn wir sagen, dieser Carbonbeton hält dreimal so lange, habe ich nochmals einen Faktor drei in der Ersparnis.

Was sagt die Zementindustrie zu einer neuen Bauweise, die weniger Beton braucht?

Curbach: Im Moment bauen wir sehr viel, acht Milliarden Kubikmeter Beton werden jedes Jahr verbaut. Wir müssen aber in Zukunft noch sehr viel mehr bauen, denn die Weltbevölkerung wächst weiter. Das geht nicht mit den gleichen Methoden, weil dann der CO2 -Ausstoß weiter steigt und noch mehr Ressourcen verbraucht werden. Wenn wir aber anders bauen, wir das Bauen „neu denken“, dann können wir mit weniger Material für mehr Menschen bauen. Das heißt, in Summe wird der Umsatz der Zementindustrie nicht zurückgehen, sondern wir werden das Material einfach viel effizienter einsetzen. Und ein weiterer Punkt kommt hinzu: Dadurch, dass es sich bei der Bewehrung, die wir integrieren, um ein Gelege handelt, das beweglicher ist als eine Stahlmatte, die ja doch nur mit viel Mühe gebogen werden kann, kann ich ganz andere Geometrien herstellen. Den Traum, Beton in jede beliebige Form gießen zu können, die er ja bereit ist anzunehmen, kann man mit Carbonbewehrung verwirklichen und so architektonisch eine neue Formensprache schaffen.

Wie kann ich mir ein Bauwerk aus Carbonbeton vorstellen?

Curbach: Um mit Missverständnissen aufzuräumen: Wir können viel dünner bauen, was wir aber nicht aufgeben wollen und dürfen, sind Eigenschaften wie zum Beispiel die Steifigkeit. Eine Decke aus Carbonbeton bräuchte aufgrund ihrer Festigkeit nicht mehr 18, sondern von der Tragfähigkeit her nur noch vier oder fünf Zentimeter dick sein. Wenn Sie aber über diese Decke gehen, dann schwingt sie. Will sagen, wir brauchen weiterhin Steifigkeit, und die erreicht man nur über Dicke. In einem Einfamilienhaus wird die Decke auch in Zukunft 18 Zentimeter dick sein, aber sie wird nicht – wie heute – komplett aus Beton, beziehungsweise komplett aus dem gleichen Beton sein. Wir brauchen für die Übertragung der Druckkräfte nur auf der Oberseite tragfähigen Beton und unten ein, zwei Zentimeter Beton, um die Carbonbewehrung einzulegen. Dazwischen benötige ich ein Material, das die beiden Schichten schubfest verbindet. Das sollte aber nach Möglichkeit kein hochfester Beton sein, sondern im Extremfall könnte da auch ein mineralischer Schaum reichen, zum Beispiel Infraleichtbeton von HeidelbergCement. Und diese Kombination bewirkt dann, dass man die gleiche Qualität hat, was Steifigkeit und Durchbiegungsverhalten anbelangt, und trotzdem jede Menge Material spart.

Dann forcieren wir mit Carbonbeton hybride Bauweisen?

Scheydt: Die Königsdisziplin im Hinblick auf ressourcensparendes Bauen ist ja eigentlich die Hybridbauweise. Unterschiedliche Baustoffe haben verschiedene Vor- und Nachteile, eigentlich gibt es keinen ultimativen Baustoff. Auch Carbonbeton ist natürlich nicht der ultimative Baustoff. Besonders ressourcenschonend werden Baustoffe, wenn man sie entsprechend ihrer Vor-und Nachteile miteinander auf technisch sinnvolle Weise verbindet. Ein Beispiel ist etwa die Brücke, die aktuell aus einer Kombination von Carbonbeton und Infraleichtbeton in München entstanden ist. Viele Kombinationen verschiedener Baustoffe und Betone sind denkbar, um an Ende die bestmögliche Ressourceneffizienz bei bestmöglicher Nachhaltigkeit und gleichzeitig optimaler Tragfähigkeit zu generieren. Gemäß „Form Follows Force“ muss letzten Endes ein tragfähiger Carbonbeton nur dort eingesetzt werden, wo er benötigt wird, um hohe Kräfte abzuleiten. Oder auch dort, wo extreme Umweltbedingungen herrschen, weil die nicht angreifbare Carbonbewehrung inert im Baustoff liegt. Wo sie diese besonderen Anforderungen nicht haben, kann ein anderer Beton oder sogar ein ganz anderer Baustoff als Ergänzung hinzugezogen werden.

Curbach: Bei der genannten Brücke wurde alles, was ging, optimiert, um sie so schlank wie möglich zu bauen. So ist sie in der Mitte tatsächlich nur sechs Zentimeter dick. Bei dieser Hybridbauweise planten wir mit Infraleichtbeton von HeidelbergCement in der Zwischenschicht, weil dieser im Grunde die perfekten Eigenschaften hat, um die Carbonbetonflächen oben und unten zu verbinden. Wir müssen ja Querkräfte übertragen und hierfür reicht ein – ich nenne ihn mal so – mineralischer Schaum. Er muss keine großen Zugkräfte aufnehmen, nur so viel wie für diesen Verbund nötig ist. Deshalb braucht man auch nicht so viel Material. Wir haben also nur ein mineralisches Material, aber mit verschiedener Dichte. Form Follows Force bedeutet, dass jede sinnvolle Maßnahme ergriffen wird, die es möglich macht, Material zu sparen.

Wir sehen die Minimierung von Ressourcen und CO2 sowie eine schlanke Formensprache: Doch wie sieht es mit der Rezyklierbarkeit dieser Hybridbauweise aus?

Scheydt: Im Vergleich zu anderen Hybridbauelementen, bei denen mineralische mit nicht mineralischen Baustoffen kombiniert werden, liegt derVorteil eines Bauteils aus rein mineralischen Baustoffen natürlich auch in dessen Rezyklierbarkeit. Dabei frage ich mich allerdings: Wie verhält es sich mit der Rezyklierbarkeit der Carbonbewehrung? Stahl lässt sich ja sehr gut wieder in den Kreislauf einbringen.

Curbach: Diese Frage hat uns zu Beginn des C 3 -Projekts sehr umgetrieben und wir haben das in einem großen Teilprojekt getestet. Anhand eines kleinen Carbongebäudes untersuchten wir die extremste Form des Recyclings, nämlich durch Zerschreddern seiner Teile. Ich muss das nicht erwähnen: Die beste Form der Rezyklierung ist, ein Bauteil möglichst lange zu verwenden, die zweitbeste, Teile oder Module aus Carbonbeton, die ja 200 Jahre halten, weiterzuverwenden. Die Zerstörung ist die schlechteste Variante des Recyclings, aber diese wollten wir ja untersuchen. Also wurde geschreddert. Hierbei gelang die Trennung von Carbon und Beton in einer Größenordnung von circa 99 Prozent hervorragend. Den Betonreststoff kann man wiederverwenden als Zuschlag, als Gesteinskörnung für den nächsten Beton. Die zwischen fünf und zehn Zentimeter langen Schnipsel aus der Carbonbewehrung können wieder verarbeitetet und neues Garn daraus hergestellt werden. Beim allerersten Versuch erreichten wir eine Festigkeit von 90 Prozent der Festigkeit der alten Faser. Ganz schön gut – das belegte eindeutig, dass Carbonbeton hervorragend rezyklierbar ist.

Und was ist mit der Nachhaltigkeit von Carbon?

Curbach: Derzeit bestehen die verwendeten Carbongelege tatsächlich noch aus Erdöl, das wird aber nicht mehr lange der Fall sein, denn es gibt mehrere Alternativen. Am weitesten gediehen, und schon aus der Experimentierphase heraus, ist die Herstellung des Carbons aus Lignin, letztlich aus Holz, einem nachwachsenden Rohstoff. Das ist aber nur eine von vielen möglichen Varianten. Eine andere, sehr interessante, wird an der TU München verfolgt. Dort hat man eine Methode entwickelt, mit der eine bestimmte Algenform aus dem CO2 der Luft Polyacrylnitril produziert und dieses Polyacrylnitril, PAN genannt, ist der Ausgangsstoff, aus dem dann Carbonfilamente und anschließend Carbongelege hergestellt werden können.

Scheydt: Beim Thema Algen schließt sich der Kreis zur Dekarbonatisierungsstrategie von HeidelbergCement, denn unser Unternehmen betreibt zum Beispiel Algenfarmen in Marokko. Wenn nun perspektivisch diese Algen, die mit CO2 „gefüttert“ werden, das aus der Zementproduktion stammt, unmittelbar zur Produktion eines Baustoffs führen, der dann wiederum im Beton eingesetzt werden kann, wäre der Kreislauf natürlich par excellence geschlossen.

Wie kann man sich die neue Bauweise konkret vorstellen? Verbauen wir künftig mehr Fertigteile?

Curbach: Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Carbonbeton tatsächlich eher weniger auf der Baustelle produziert werden, mit Ausnahme der Verstärkung vorhandener Bauwerke. Carbonbeton wird sich also vor allem durch Fertigteile verbreiten. Das hängt damit zusammen, dass ich hier viel sorgfältiger die Bewehrung anordnen, verlegen und betonieren kann–und Qualität spielt eine große Rolle. Wir haben es nicht mehr mit einem Lowtech-Werkstoff zu tun. Das Herstellen von Carbonbeton ist eher eine Hightech- Disziplin. Die Fertigteile – oder Halbfertigteile – werden also wohl mit hoher Präzision und genau vorgegebener Krümmung im Werk hergestellt, auf der Baustelle exakt angeordnet und dann wird eventuell eine zusätzliche Schicht Beton vor Ort aufgebracht.

Hybride Bauweisen, Form Follows Force, da kommt doch Bauen als digitaler Prozess ins Spiel?

Scheydt: Das Baugewerbe digitalisiert sich im Moment ohnehin. Wir sehen das an vielen Stellen: Die Statik wird längst mit Hilfe von Finite-Elemente-Methoden, also sowieso schon digital abgewickelt. Wir haben das Stichwort BIM, Building Information Modelling, das heißt, es geht vom digitalen Entwurf weiter zur digitalen Planung bis zum Betrieb. Häufig hatten wir dann den Bruch, wenn es an die Herstellung ging, die dann vergleichsweise manuell war – egal ob im Fertigteilwerk oder auf der Baustelle. Nun sehen wir zunehmend die Digitalisierung dieser Schnittstelle, also des Herstellungsprozesses. Wenn also Carbonbeton ein Material ist, das prädestiniert ist für die Fertigteilherstellung, steht das absolut im Einklang mit der zunehmenden Digitalisierung des Herstellungsprozesses im Bauwesen.

Curbach: Die Idee zu unserem Modellbauwerk in Dresden, dem CUBE aus Carbonbeton, wurde erst einmal mit dem Bleistift auf dem Papier skizziert. Schnell war aber klar, dass ein Gebäudeteil, der Twist, eine doppelt gekrümmte Schale sein soll, aber eine Regelfläche, also mit geraden Erzeugenden, damit sie einfacher zu schalen ist. Diese mathematische Vorgabe war durch ein entsprechendes Programm sehr viel leichter umzusetzen als mit einer Zeichnung und wir konnten an dem digitalen Modell auch noch verschiedene Längen und Krümmungen der Verdrehung ausprobieren. Dieses dreidimensionale Modell, ein parametrisierter Entwurf, war dann Basis für die Statik, für das Schalungselement, für die Bewehrung, die dort eingelegt wird, und Basis für die Wärmedämmkörper, die sich in Hohlräumen in dieser Schale befinden. Bei unserem Projekt hat sich die Digitalisierung tatsächlich vom Entwurf – mal abgesehen von der ersten Idee – bis in die Fertigung durchgezogen.

Sie haben Carbonbeton entwickelt, welche Visionen hatten und haben Sie?

Curbach: Da komme ich auf meine Motivation zurück. Ich sehe diese unglaubliche Menge an CO2 , die wir zurzeit mit der Bauindustrie und mit der Nutzung von Gebäuden ausstoßen. Die Bauindustrie hat in Deutschland einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von ungefähr sechs Prozent und bei Investitionen einen Anteil von zehn Prozent. Beim Ausstoß der klimaschädlichen Gase liegt ihr Anteil aber bei 25 Prozent. Eine andere Zahl ergibt sich, wenn wir uns die Forschungsaktivitäten im Bauwesen anschauen und diese mit Forschungsaktivitäten in anderen Branchen vergleichen. Da ist der Anteil in der Bauindustrie und an den Universitäten extrem niedrig. Wir haben also eine Riesenschere, zwischen dem, was wir verursachen und dem, was wir beitragen, das müssen wir lösen. Meine Vorstellung oder Vision ist, dass wir diese Schere zusammenführen, dass der Anteil der klimaschädlichen Gase in der Bauindustrie auf Null geht, dass wir es tatsächlich zu einem klimaneutralen Bauen schaffen. Und da wir nicht unendlich viele Ressourcen haben, zielt der zweite Teil der Vision auch auf ein ressourcenarmes oder materialneutrales Bauen. Bis dahin ist sicherlich noch ein weiter Weg und es braucht viel mehr Anstrengungen in der Forschung, es braucht viel mehr kreative Ideen, um diesen Weg tatsächlich erfolgreich zu gehen, denn wir haben ja nicht mehr unendlich viel Zeit. Wir wissen ungefähr, was wir noch an CO2 in die Luft abgeben dürfen, wenn wir noch die 1,5 Grad einhalten wollen. Im Jahr 2050 muss das alles spätestens erledigt sein und das ist in 28 Jahren – das ist nicht mehr wirklich lang.


Es ist schon Beachtliches in Gang gekommen. Ich denke, wir werden bald viele zukunftsweisende Anwendungen mit Carbonbeton, Leichtbeton und anderen innovativen Betonen sehen. Herzlichen Dank für Ihre interessanten Ausführungen!

Durch das Gespräch führte Susanne Ehrlinger.

Interview Carbonbeton – Quantensprung in der BetonbauweiseInterview Carbonbeton – Quantensprung in der Betonbauweise

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