Wird das Bauen immer aufwendiger? Wird Klimaschutz an Gebäuden immer teurer und komplizierter? Und erreicht man mit dem enormen Aufwand überhaupt die geforderte Energieeffizienz? Diesen Entwicklungen und Überlegungen stellt die Technische Universität München (TUM) mit ihrem Forschungsvorhaben „Integrale Strategien für energieeffizientes, einfaches Bauen mit Holz, Leichtbeton und hochwärmedämmendem Mauerwerk – Untersuchung der Wechselwirkungen von Raum, Konstruktion und Gebäudetechnik“ neue Erkenntnisse entgegen. Mit ihrem Langzeitprojekt „Einfach Bauen“ tragen Architekten und Ingenieure der TUM unter Federführung von Architekt Florian Nagler, Professor am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren und eines der Gründungsmitglieder der Bundesstiftung Baukultur, dazu bei, „den Anfangspunkt zu einer neuen, gegenläufigen Bauentwicklung zu markieren und so einen wichtigen Impuls in der deutschen Bauwirtschaft zu setzen.“
Nun werden die Forschungsergebnisse erstmals mit der Praxis abgeglichen: mit konkreten Wohnbauten, die sich in Nutzung befinden. Wie schneiden diese, nach Prinzipien des einfachen Bauens wirtschaftlich erstellt, in der Realität energetisch, auch unter Betrachtung eines differenzierten Nutzerverhaltens, ab? Mit Unterstützung der Initiative „Zukunft Bau“ des Bundesbauministeriums kann das Forschungsprojekt damit nun in die zweite Runde gehen. Die bislang simulierten Daten werden über einen längeren Zeitraum mit den Messungen in den drei Forschungshäusern im oberbayerischen Bad Aibling verglichen und evaluiert.
Infraleichtbeton sorgt für ausreichend Wärmedämmung
Das kompakte, dreigeschossige Wohnhaus aus Infraleichtbeton ist der erste dieser drei monolithischen Bauten, die nach definierten Kriterien ausgeführt werden. Der Rohbau besteht aus 50 Zentimeter dicken, einschaligen Außenwänden, die aufgrund der Materialbeschaffenheit und Speichermasse des Infraleichtbetons ausreichende Wärmedämmung bieten. Das ausführende Bauunternehmen Watzlowik aus Brannenburg hat den Beton direkt aus dem Fahrmischer in Großflächenschalungen eingebracht. „Eine sehr interessante Aufgabe“, befindet Martin Watzlowik, der den Familienbetrieb in vierter Generation führt und zum ersten Mal mit Infraleichtbeton arbeitet. Fassade und Innenwände des Hauses bleiben gleichermaßen betonsichtig. An der Fassade legten die Baufacharbeiter Rauspundbretter in die Schalung ein, um den charakteristischen Abdruck einer Brettmaserung zu erhalten. Darüber hinaus stellten die Architekten keine weiteren Anforderungen an die Oberflächengüte des Betons. Aufgrund seiner Zuschläge, einem Blähglasgemisch, hat er eine sehr natürliche authentische Anmutung. Unbewehrte Betonwände im Innern und 30 Zentimeter dicke Decken aus stahlfaserbewehrtem Beton erfüllen die Vorgaben an die Luftschalldämmung. Ein Bodenbelag, etwa Linoleum, erfüllt die Anforderungen an den Trittschall ohne weiteren Bodenaufbau.
In unserem Null-Emissions- Quartier stehen neben dem neuen Wohngebäude aus Infraleichtbeton noch rund 20 weitere Prototypen mit Untervarianten, primär als Holz-Hybrid-Häuser, darunter das sogenannte Holz 8, zum Errichtungszeitpunkt das höchste Holz-Hybrid-Gebäude Deutschlands.
Achim Mantel, Leiter Forschung und Entwicklung
der B&O Gruppe
Größe macht Sonnenschutz überflüssig
Der Entwurf von Florian Nagler Architekten sieht – nach dem Motto „form follows material“ – Fensterausschnitte vor, die den Eigenschaften des Baumaterials entsprechen. Ihre angemessene Größe macht Sonnenschutz überflüssig. Im Falle des Betonhauses bildeten Betonfacharbeiter die Ausschnitte für die Rundbogenfenster mit minimaler Toleranz aus. Bauunternehmer Watzlowik und sein Team haben die Fensterlaibungen so präzise gefertigt, dass die Holzfenster exakt eingepasst werden konnten und die Luftdichtigkeit mit einem Kompriband erfüllt wird. Die oberste Geschossdecke unter dem flach geneigten Satteldach wird einfach mit Holzwolle gedämmt.
Auf einer kompakten Gesamtgrundfläche von zehn auf 20 Metern sind acht unterschiedlich große Wohneinheiten auf drei Geschossebenen so angeordnet, dass die Räume die Vorgaben optimal erfüllen, die sich aus der vorangegangenen Forschung ergeben haben. Über drei Meter hohe Räume und großzügig durchbrochene Wände, die fließende Übergänge erzeugen, sorgen bei dieser Schottenbauweise für einen weiten Raumeindruck. Versorgungsleitungen verlaufen unter Fußleisten. Beheizt wird das Wohnhaus über ein Blockheizkraftwerk im Wohnquartier, das mit Holzhackschnitzeln befeuert wird, sich also eines nachwachsenden Rohstoffes bedient.
Wir wollen nachhaltig und
Tilmann Jarmer, Projektarchitekt
wirtschaftlich bauen. Reduzierte Technikkonzepte erlauben eine einfache Handhabung und sind auch gegenüber Umwelteinflüssen robust.
Maximale Energieeffizienz
Als Bauherr für den beispielhaften Wohnungsbau konnte die B&O Gruppe gewonnen werden, die den Prinzipien des einfachen Bauens nahesteht. Das sozial engagierte Bauunternehmen, das bundesweit vor allem als Dienstleister für die Wohnungswirtschaft agiert, legt beim Neubau den Fokus auf eine schnelle, gleichermaßen hochwertige und solide Bauweise bei maximaler Energieeffizienz. Gemäß den Zero-Waste-Prinzipien „Reduce, Reuse, Recycle“ setzt das Unternehmen auf Nachhaltigkeit und vermeidet die Übertechnisierung von Wohnraum. „Das neue Forschungshaus aus Infraleichtbeton steht im Null-Emissions-Quartier, das wir auf einem ehemaligen Kasernengelände entwickeln“, beschreibt Achim Mantel, Projektleiter der B&O Gruppe, den Standort. Neben Schulen und Kindergärten befinden sich dort vor allem beispielhafte Wohnbauten. Inzwischen gilt der Stadtteil, in dem das Thema „Energieeffizienz“ im städtebaulichen Maßstab zusammen mit der Hochschule in Rosenheim modellhaft bearbeitet wird, als Quartier mit Vorbildcharakter für moderne Stadtentwicklung.
Die vereinfachten, aber architektonisch durchdachten Forschungshäuser, widersetzen sich derzeitigen Entwicklungen im Bau. Tatsächlich steigt die Komplexität von Konstruktionen und Gebäudetechnik seit Jahrzehnten stetig an. Betroffen sind Anforderungen an Standsicherheit, Dauerhaftigkeit, Wärme-, Feuchte-, Brand- und Schallschutz, Hygiene und Gesundheit, wie auch an den allgemeinen Nutzerkomfort. „Dies äußert sich in der fast unüberschaubaren und weiter steigenden Zahl an Normen und Baugesetzen. Das angestrebte Ziel der Qualitätssicherung wird oft nicht erreicht: Die Folge der Komplexität ist eine hohe Fehlerquote in Planung und Ausführung sowie eine Überforderung von Bauherren und Nutzern. Hinsichtlich der Raumqualität ist der Standard in weiten Bereichen sogar gesunken“, heißt es auf der Plattform von „Einfach Bauen“, dem wissenschaftlichen Verbund, der sich bemüht, diesen Tendenzen durch Forschung und Lehre neue Entwicklungen entgegensetzen.
Hochentwickelte Baustoffe für den Bau der Forschungshäuser
Der erste Forschungsabschnitt des Großprojekts hatte eine Parameterstudie auf Raumebene beinhaltet, bei der man zunächst drei Basis-Raummodelle unter ideal angesetzten Bedingungen definierte. Für den Bau dieser „Base Cases“ wählte man drei heute hochentwickelte Materialien: Massivholz, hochwärmedämmendes Mauerwerk und Infraleichtbeton. Daraus wurden jeweils optimierte Konstruktionen, Raum- und Technikkonzepte sowie Detaillösungen entwickelt. Zunächst variierte man Raumparameter wie Geometrie, Fenstergröße, Glasart und Außenwanddicke, woraus sich allein über 2.600 simulierte Varianten ergaben. Bestimmte Raumvarianten mit reduziertem Hüllflächenanteil, thermischen Speichermassen und angemessenen Fensterflächen erwiesen sich aufgrund des geringen Heizwärmebedarfs und der reduzierten Überhitzung im Sommer als optimal. In einem weiteren Schritt untersuchten und berechneten die Forscher diese simulierten Varianten auf Gebäudeebene. Die drei als bestmöglich erfassten Baukonstruktionen konnten dann rechnerisch mit Standardbauten und einem Niedrigenergiegebäude verglichen werden, und zwar bezüglich ihrer Umweltauswirkung, fokussiert auf das Treibhauspotenzial (Greenhouse Warming Potential, GWP) und die Lebenszykluskosten. Die Wissenschaftler gingen hier von einer Betriebsphase von 100 Jahren einschließlich Entsorgung aus. Es zeigte sich, dass von allen Einflussfaktoren das Verhalten der Nutzenden die Performance von Gebäuden am stärksten bestimmt.
Insgesamt bestätigten die Ergebnisse, die dem Projekt zugrundeliegende Hypothese dass einfache Wohngebäude mit hochwertiger und gleichzeitig suffizienter Architektur, robuster Baukonstruktion und reduzierter Gebäudetechnik hinsichtlich Ökobilanz und Lebenszykluskosten sowohl Standardwohngebäuden als auch aktuellen Passivhäusern überlegen sind.
Infraleichtbeton vereint hohe Tragfähigkeit mit ausgezeichneter Wärmedämmung. Damit lassen sich monolithische Konstruktionen verwirklichen und Oberflächen vielfältig gestalten. Eine derartige Leistungsfähigkeit besitzt kein anderer Baustoff.
Dr. Robert Lukas, Leiter Qualität Südostbayern, Heidelberger Beton
Nach dem Bezug aller drei Häuser in Bad Aibling werden in der dritten Forschungsphase vergleichende Langzeitmessungen den Verbrauch, das Nutzerverhalten und das Raumklima erfassen, zudem wird ein Feuchtemonitoring der Bauteile durchgeführt. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse zu, inwieweit die Annahmen aus der Simulation in der Realität zutreffen. Die Ergebnisse und ein daraus entwickelter Leitfaden werden, so ist zu erwarten, die Potenziale des einfachen Bauens in massiver, monolithischer Bauweise noch stärker in den öffentlichen Fokus stellen.
Text: Susanne Ehrlinger
Vier Fragen an Projektleiter
Tilman Jarmer von Florian Nagler Architekten, München
Ist das Prinzip des einfachen Bauens nachhaltig?
Entsprechend konzipiert sind Bauten aus massiven, natürlichen Baustoffen mit reduzierten Techniksystemen selbst Passivhäusern wirtschaftlich und energetisch überlegen. Denn tatsächlich wirkt der Mensch bei komplexen Niedrigenergiekonzepten als störender Faktor, weil er Energie mit seinem Lüftungsverhalten verpuffen lässt. Das energietechnische Konzept eines Gebäudes sollte die Nutzer nicht beschneiden, wir wollen den Bewohnern die Kontrolle über das Wohnklima zurückgeben. Also muss das Haus an sich effizient sein.
Wie gehen Sie vor?
Wir planen kompakte, monolithische Baukonstruktionen getrennt von der Haustechnik, so dass diese immer wieder flexibel verändert und an neue Erfordernisse oder Nutzungen angepasst werden können. Ein Gedanke der Systemtrennung, der etwa in der Schweiz beim Bau schon weit verbreitet ist.
Welche Vorteile bringt geringere Komplexität?
Es entsteht weniger Aufwand im Bau und Betrieb. Zudem lassen sich von der Konstruktion getrennte Installationen einfacher sanieren oder von effizienteren, im Laufe der Lebensdauer eines Hauses zu erwartenden Systemen austauschen. Zu jeder Zeit meinen Menschen mit ihrem Tun das Optimum erreicht zu haben, es zeigt sich aber immer wieder, dass technische Weiterentwicklungen schneller kommen als gedacht.
Einfach, aber nicht simpel?
Wir lassen Baukultur und gute Raumkonzepte mit hoher Aufenthaltsqualität nicht außer Acht, ganz im Gegenteil. Gleichwohl stellt sich hier die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis. Seit der Moderne gibt es das Bild des Architekten als Künstler. Ich verstehe mich eher als Geburtshelfer von Bauten, die dann Jahrzehnte mit den Menschen interagieren werden.
Das Gespräch führte Susanne Ehrlinger
Objektsteckbrief
Projekt:
Mehrfamilienhaus aus Infraleichtbeton, Bad Aibling,
Teil eines Forschungsvorhabens der TU München
Bauherr:
B&O Gruppe, B&O Parkgelände GmbH, Bad Aibling
Generalübernehmer:
B&O Gruppe, B&O Wohnungswirtschaft Bayern GmbH
Architekt:
Florian Nagler Architekten, München
Projektleiter:
Tilman Jarmer
Bauunternehmen: Baugeschäft Martin Watzlowik, Brannenburg
Beton:
320 m3 Infraleichtbeton (Rohdichte von 700 kg/m3 bei einer Druckfestigkeit > 8 N/mm2) Betonproduzent
Infraleichtbeton:
Heidelberger Beton GmbH, Gebiet München Baubeginn: 2019
Ansprechpartner
Dr. Robert Lukas
E-Mail: Robert.Lukas@heidelbergcement.com
Produktberatung
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