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Von der Bergheimer Mühle zu Heidelberg Materials // Ausgabe 1/2023

Der 150-jährige Weg zum Erfolg

Mit Unternehmergeist und auch ein bisschen Glück haben Johann Philipp Schifferdecker und Friedrich Schott aus bescheidenen Anfängen eine stattliche Fabrik errichtet. Fortwährende Weiterentwicklung und die Philosophie „jede Krise als Chance zu sehen“ ermöglichten es dem Unternehmen, immer weiter zu wachsen. Den Anfang nahm das Unternehmen in Heidelberg, am Neckar gegenüber der heutigen Hauptverwaltung.

Porträt

Johann Philipp Schifferdecker: Bierbrauer und Gründer

Eigentlich hätte sich Schifferdecker nach einer erfolgreichen Karriere als Bierbrauer zur Ruhe setzen können. Was ihn letztlich bewog, mit 62 Jahren in Heidelberg nach einem Standort für ein Portlandzementwerk zu suchen, ist unbekannt. Man munkelt, er soll auf einer Zugfahrt in seine badische Heimat durch einen Mitreisenden einen Tipp zur Investition seines Vermögens in eine Portlandzementfabrik bekommen haben. Damals begann gerade ein neuer Gründungsboom. So erwarb Schifferdecker am 2. Januar 1873 die Bergheimer Mühle im Konkursverfahren für 258.000 Mark. Am 5. Juni 1874 erfolgte die Eintragung als offene Handelsgesellschaft beim Amtsgericht Heidelberg.

Die Gesellschaft verfügte über ein Stammkapital von 1.200.000 Mark und wurde von drei Teilhabern gleichberechtigt vertreten: Johann Philipp Schifferdecker, sein Sohn Dr. Paul Schifferdecker und der Schwiegersohn Rudolf Heubach. Gegen Jahresende wurde die Zementproduktion in kleinem Maßstab aufgenommen. Aber schon nach kurzer Zeit tauchten Schwierigkeiten auf, das Produkt neigte zum so genannten Treiben. Die Ursache war ein hoher Magnesiumgehalt im Rohmaterial. Schifferdeckers Hoffnungen, das Problem zu lösen, ruhten auf seinem Sohn Paul, einem promovierten Chemiker. Aber am fertigen Produkt zeigte sich schnell, dass der Familienbetrieb nicht über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen für die Zementherstellung verfügte. Das Unternehmen war ernsthaft gefährdet und wies 1874 bereits ein Defizit im Jahresabschluss von 150.000 Mark aus. Schmerzlich musste Schifferdecker sich das Scheitern seines Sohnes eingestehen. Jetzt konnte nur noch eine wissenschaftlich fundierte Vorgehensweise bei der Rohstoffgewinnung das Unternehmen retten, und so inserierte er in den „Fliegenden Blättern“ nach einem fachkundigen Betriebsleiter.

Friedrich Schott - Der Zementchemiker

Eher zufällig hatte Friedrich Schott das Stellenangebot Schifferdeckers gelesen. Schon länger war ihm die Enge in der vom Vater geführten Kalkund Ziegelbrennerei zur Last geworden. Gegen den Wunsch des Vaters bewarb er sich auf die offene Stelle beim Portland-Cement-Werk Heidelberg – mit Erfolg. Ihn reizte an der Stelle, dass er in führender Position ohne fachliche Konkurrenz seine Kenntnisse unter Beweis stellen konnte. Risiko und Chance lagen eng beieinander. Wenn es ihm gelänge, die angeschlagene Zementfabrik zum Erfolg zu führen, würde dies seine berufliche Entwicklung eher fördern als eine gesicherte Position in zweiter Reihe. Schifferdecker willigte trotz der hohen Forderungen des erst 25-jährigen Schotts ein, denn er konnte sich in dem jungen Mann wiedererkennen. Die übrigen Teilhaber der Firma waren mit der Wahl von Anfang an einverstanden. Auch in späteren Jahren bestätigte sich mehrmals das gute Vertrauensverhältnis zwischen der Familie Schifferdecker und Friedrich Schott. Am 1. Juli 1875 trat Schott offiziell in das Portland-Cement-Werk ein. Schnell gelang es ihm, geeignetes Rohmaterial – fast frei von Magnesium – in der Nähe der bisherigen Abbaustellen zu erschließen. Für Schott stand der Erfolg des Unternehmens außer Frage, und für Schifferdecker war mit der Konsolidierung der Firma nun auch der wohlverdiente Ruhestand und die Rückkehr in seine Heimat Königsberg gekommen. Am 1. Oktober 1887 starb Johann Philipp Schifferdecker mit 76 Jahren in Königsberg.

Aktiengesellschaft und Brandkatastrophe

Nach dem Tod von Schifferdecker suchten die Erben und bisherigen Gesellschafter nach einer neuen Rechtsform und wandelten die Offene Handelsgesellschaft am 18. März 1888 in eine Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von 5,5 Millionen Mark um. Die Aktien blieben aber zunächst nur in Familienhand. Der erste Vorstand der Gesellschaft setzte sich aus Friedrich Schott (technischer Direktor), Otto Hornung (Buchhalter) und Otto Wagenbichler (Kassierer) zusammen. Für Schott bedeutete die neue Position auch die gebührende Anerkennung seiner Verdienste.

Zehn Jahre nach der Firmengründung hatte die Fabrik eine Steigerung der Zementerzeugung von 19.000 Fass pro Jahr auf 213.173 Fass erreicht. Daraus entstanden auch die ersten Grenzen des Wachstums, die aus der Nähe zur Stadt Heidelberg resultierten. Mit der Einreichung des Bauantrages eines zweiten Ringofens wurden die Proteste aus der Nachbarschaft des Zementwerks lauter. Insbesondere die Akademische Krankenhaus Kommission der Universität Heidelberg beklagte die Rauch- und Staubbelästigung und verlangte Abhilfe. Die entscheidende und tragische Wende zugleich: Am 4. Februar 1895 brannte das weitgehend aus Holzkonstruktion bestehende Werk bis auf die Grundmauern nieder. Kaum war der Brand gelöscht, waren die Kritiker zur Stelle und verlangten, dass keine neue Betriebsgenehmigung erteilt werden dürfe und ein anderer Standort gefunden werden müsse. Man einigte sich schließlich darauf, die Verwaltung in Heidelberg zu belassen und einen neuen Standort in Rohstoffnähe zu suchen – dieser wurde in Leimen gefunden. Unverzüglich wurden die Planungen und Bauvorbereitungen für die neue Fabrik am Ortsrand von Leimen aufgenommen. Hier entstand nach Schotts Plänen das größte Industriegebäude des damaligen Deutschen Reichs, und schon 1896 nahm die Fabrik die Produktion wieder auf.

Krisen als Chance verstehen

Seit der Gründung des Zementwerks Leimen entwickelte sich der Absatz – bis auf die Krisenjahre 1900-1902 – stetig nach oben. Die Steigerung des Absatzes war hauptsächlich durch Mehrversand nach Norddeutschland, Holland und Übersee entstanden. Jedoch hatte der wirtschaftliche Absatz keine vergleichbare Lohnsteigerung für die Arbeiter mit sich gebracht. Friedrich Schott hatte es immer verstanden, die Arbeiter ruhig zu halten und war selbst ein scharfer Kritiker der freien Gewerkschaften. Auf Veranlassung von Schott wurde ein Aushang in den Leimener Fabrikräumen zur Bildung eines Arbeiterausschusses angebracht. Mindestens einmal monatlich hatten die Mitarbeiter so die Gelegenheit, vorhandene Missstände, Wünsche und Beschwerden vorzubringen. Es gab auch einen Katalog von Unterstützungsmaßnahmen für die Beschäftigten, zum Beispiel den Arbeiter-Unterstützungsfond sowie eine Betriebskrankenkasse. Schott ging es vor allem darum, die Arbeitenden durch ein Anreizsystem zur Vermögensbildung zu verhelfen.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 kam die deutsche Zementausfuhr sowie die gesamte Bautätigkeit aufgrund der fehlenden Nachfrage und durch Einberufung der Arbeitskräfte zum Erliegen. Die schlechten Aussichten des Zementmarktes, der 1918 nochmals um 74 Prozent eingebrochen war, gaben den Ausschlag für Friedrich Schott zur Fusion zwischen dem Portland-Cement-Werk Heidelberg und Mannheim AG mit der  Stuttgarter Immobilien- und Baugeschäft AG im August 1918. Ende 1919 legte Schott seinen Vorstandsposten nieder und wechselte in den Aufsichtsrat des Unternehmens, dem er von 1923 an bis zu seinem Tod im Alter von 81 Jahren im Jahr 1931 vorstand. Das neue Unternehmen firmierte bis 1937 als „Portland-Cementwerke Heidelberg-Mannheim-Stuttgart AG“ und war damit zum führenden süddeutschen Zementhersteller geworden. Friedrich Schott sah in der Krise stets auch die Chance.

Dr. Erhart Schott und die "Stunde Null"

Auch die beiden Söhne von Friedrich Schott waren im Unternehmen beschäftigt und hatten Funktionen in Leimen übernommen. Sein ältester Sohn Otto, der einige Jahre die  Betriebsleitung in Leimen hatte, übernahm die Werksleitung der Portland-Cementfabrik Offenbach. Sein zweiter Sohn Ehrhart war seit 1907 Betriebsleiter und Direktor des Portland-Cementwerkes in Leimen. 1917 wurde er zum Vorstandsmitglied bestellt. Mit der Machtergreifung der NSDAP war Ehrhart Schott in deren Visier geraten. Am 5. Mai 1933 meldete die nationalsozialistische Zeitung „Volksgemeinschaft“ den „Zementkönig“ Dr. Schott in Schutzhaft genommen zu haben. Das Werk Leimen war wie alle Zementwerke als kriegswichtiges Unternehmen von Einberufungen bis zum Frühsommer 1940 weitgehend verschont geblieben. Zugleich versuchte man durch den verstärkten Einsatz von Frauen den sich langsam bemerkbar machenden Arbeitskräftemangel auszugleichen. Das Ende des Krieges im Frühjahr 1945 überstanden die meisten Werke weitgehend unbeschadet. Der bisherige Vorstand wurde innerhalb weniger Monate entlassen. Im Oktober 1945 übernahm der 66-jährige Dr. Ehrhart Schott zusammen mit zwei weiteren Treuhändern die Leitung des Unternehmens. Durch den inzwischen wieder in Funktion getretenen Aufsichtsrat wurde er zum Vorstandsmitglied bestellt. Bis 1949 trug er die alleinige Verantwortung für den Wiederaufbau und -aufnahme der Produktion.

Aufstieg zum Weltkonzern: Lehigh, Hanson & Italcementi

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine große Nachfrage nach Baumaterialien zum Aufbau der zerstörten deutschen Städte. Das führte dazu, das eine eigene Gips- und Putzsparte aufgebaut wurde. Mitte der 1950er-Jahre rückte auch die damals noch junge Transportbetonbranche zunehmend in das Interesse der Zementhersteller. Auch die Portland-Zementwerke Heidelberg AG beteiligten sich an mehreren mittelständischen Transportunternehmen. Dazu kamen weitere Zukäufe von Zementwerken in verschiedenen Ländern Europas. In den 1970er-Jahren erfolgte die Expansion in Nordamerika mit der Übernahme von Lehigh Cement in den USA. In den folgenden Jahrzehnten expandierte das Unternehmen weiter in Europa, Nordamerika, Asien und Afrika. Im Jahr 2007 vollzog HeidelbergCement die bis dahin größte Übernahme mit dem Erwerb des britischen Baustoffkonzerns Hanson PLC. Danach bildeten Zement und Zugschlagstoffe die Basis der dualen Rohstoff- und Wachstumsstrategie. Der Kauf des italienischen Baustoffherstellers Italcementi S.p.A. im Jahr 2016 setze den Expansionskurs weiter fort. Nach erfolgreich überstandenen Pandemie-Jahren wurde im September 2022 aus HeidelbergCement Heidelberg Materials. „Heidelberg“ blieb als Synonym für Kontinuität und Marktführerschaft bestehen. „Materials“ ersetzt „Cement“ und steht für ein innovatives Portfolio nachhaltiger und intelligenter Baustoffe sowie digitaler Lösungen.

150 Jahre: Ansporn und Verpflichtung zugleich

Heidelberg Materials hat seit 1873 einen langen und erfolgreichen, wenn auch nicht immer leichten Weg zurückgelegt. Es ist eines der wenigen deutschen Unternehmen, das auf eine solch lange Geschichte zurückblicken kann: Statistisch gesehen werden Firmen durchschnittlich nur 16 Jahre alt, und nur etwa 0,1 Prozent aller Unternehmen erleben das 150. Jubiläum. Die Heidelberg Materials-Aktie gehört heute zu den wichtigsten Baustoffwerten in Europa. Im Jubiläumsjahr 2023 sind im Konzern rund 51.000 Beschäftigte an fast 3.000 Standorten in über 50 Ländern auf fünf Kontinenten tätig. Als internationaler Konzern hat Heidelberg Materials eine starke globale Präsenz erreicht und nimmt führende Positionen bei Zement, Zuschlagstoffen sowie Transportbeton ein. Als Vorreiter auf dem Weg zur CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft in der Baustoffindustrie liegt der Arbeitsschwerpunkt auf nachhaltigen Baustoffen und digitalen Lösungen für die Zukunft. Im Mittelpunkt des Handelns steht die Verantwortung für die Umwelt. 150 Jahre Fortschritt, Innovation und Expertise ermöglichen es und sind zugleich Ansporn und Verpflichtung, eine nachhaltige Zukunft für kommende Generationen prägend mitzugestalten.

Quellen:

www.heidelbergmaterials.com/de/geschichte
Heidelberg Materials Unternehmensarchiv

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