Der Narr trägt ein Kostüm aus bunten Stoff-Flicken. Nur er darf dem König die Wahrheit sagen. Für die in Paris lebende Künstlerin Ulla von Brandenburg, die mit unterschiedlichsten Medien arbeitet, symbolisiert das Gewand mehr als ein lustiges Outfit. Es deute darauf hin, dass allen, gleich welcher Hautfarbe, Religion oder sexuellen Ausrichtung, ein Platz in der Gesellschaft zustehe und es letztlich gar keinen König brauche. Patchwork-Motive sind seit Langem Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Bislang waren große, aus unterschiedlichen Geweben zusammengesetzte Installationen und raumgreifende Wandbilder als Schwerpunkt ihrer Werke bekannt.
Bunte Gehwegplatten erinnern an Regenbogenfarben
Für München hat die deutsche Malerin, Grafikerin, Installations- und Videokünstlerin mit einem Bodendenkmal erstmals ein Kunstwerk im öffentlichen Raum geschaffen. Mit ihrem Entwurf hatte sie einen Wettbewerb gewonnen, der vom Kulturreferat der Stadt ausgelobt worden war. Dieser sah ein Erinnerungszeichen am historischen Ort eines ehemaligen Schwulenlokals im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt vor. Nun hält ein großflächiger Winkel, der sich nach Art eines buntgefächerten Patchworks aus Betonplatten um eine neubebaute Häuserecke erstreckt, die Erinnerung an die Razzia im Lokal „Schwarzfischer“ wach. Diese war 1934 Auftakt zur Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen durch die Nationalsozialisten. Für die Künstlerin „bezieht sich das bunte Muster des Denkmals auf die Regenbogenfahne, die ein wichtiges Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung ist und auch allgemein als Zeichen für Toleranz, Vielfältigkeit und Hoffnung steht.“ Anlässlich der Eröffnung beschrieb die Künstlerin ihre Intention, den Erinnerungsort als Bodendenkmal zu gestalten, mit einem Zitat des französischen Philosophen Jean Baudrillard: „Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst.“ Mit ihrem Werk stellt sie sich diesem Vergessen entgegen: Menschen betreten das Denkmal, „sie gehen über Geschichte, die nicht vergessen werden darf, sie werden auch von Geschichte getragen“, so Ulla von Brandenburg.
Enger Austausch zwischen Künstlerin und Lithonplus
Die ästhetische Konzeption und die tiefe Bedeutung des Denkmals sind die eine Seite seiner Entstehung. Zur anderen, nicht minder wichtigen Seite gehört die fachgerechte und sensible Ausführung der 90 verschiedenen Betonplatten. Erst in der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Künstlerin und Manufaktur konnte sich das gesamte Werk so entfalten, wie es heute in München zur Geltung kommt und mit seiner unterschwelligen Intensität auf die Betrachter wirkt. Betonspezialist Josef Härle von Lithonplus hat sich in seiner Arbeit mit dem authentischen Werkstoff verstärkt auf die Ausführung künstlerischer Projekte spezialisiert. Ein Glücksfall für dieses Werk, das sich im Verlauf seiner Realisierung immer weiter konkretisierte. Äußere Gestalt und Größe der einzelnen Formate, der trapezförmigen Platten sowie der beiden Winkel, die an die Zwangskennzeichen in den Konzentrationslagern erinnern, waren per CAD-Zeichnung seitens der Künstlerin vorgegeben. Die definitive Farbgestaltung entwickelte sich dagegen in einer Art work in progress, abhängig von verschiedenen Faktoren.
Herantasten an die Farben
Rutschhemmung, Abrieb, Festigkeit, Tausalzwiderstand sind Aspekte, mit denen sich Kreative selten auseinandersetzen – für eine öffentliche Wegeführung waren sie allerdings unerlässlich. Josef Härle hat durch jahrzehntelange Erfahrung ein intuitives Gespür für durchgefärbte Betone entwickelt. Ausgehend von einer vorgegebenen Pantone-Farbpalette hat er in Kooperation mit der Künstlerin jede der einzelnen Betontafeln mittels Trockenpigment dem gewünschten Farbton angenähert, wohl wissend, dass auch die abschließende Sandstrahlung ihren Anteil am Farbausdruck haben würde. Aus zwei verschiedenen Zementfarben, Weiß- und Grauzement, dazu vier Splittzuschlägen – grauem Granit, rotem und weißem Quarz, sowie dunkelgrauem Basalt – hat der Fachmann von Lithonplus das differenzierte Farbenspektrum erreicht. Auch wegen der Härte des Materials zeigen die Platten nach dem Sandstrahlen jeweils einen individuellen Charakter. Die Farbe wurde häufig in minimalen Abstufungen, mit wenigen Prozentpunkten Differenz eingemischt. „Es war ein Herantasten an die Farbe, bei minimaler Differenz erreichten wir ein helleres Grün oder es ging in Richtung Oliv“, erinnert sich Josef Härle. Auf Handmuster allein konnte er sich nicht verlassen, der Trockenvorgang führte bei gleicher Rezeptur aufgrund unterschiedlicher Temperaturen beim Abbinden zu jeweils anderen Ergebnissen. Auch früheres oder späteres Ausschalen beeinflusste das Resultat. „Knalligere Farben, wie oft von Architekten gewünscht, lassen sich mit dem Naturprodukt Beton bei geforderter Festigkeit nicht realisieren“, weiß der Fachmann. „Vorteil des Projekts war, dass sich feinste Farbnuancen im Herstellungsprozess entwickeln ließen. So ist das Denkmal nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein handwerkliches Unikat. Keine einzige der 90 Platten kann nochmals identisch kopiert werden.“
Objektsteckbrief
Projekt: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Lesben und Schwulen; Bodendenkmal mit durchgefärbten Betonplatten, 90 Quadratmeter
Künstlerin: Ulla von Brandenburg, Paris
Auftraggeberin: Landeshauptstadt München; Kulturreferat
Betreuung der Realisierung: Baureferat München
Bauleitung: Ingenieurbüro Haas, Gräfelfing
Bauunternehmung: Pfeifer Pflaster- und Straßenbau GmbH, München
Hersteller Betonwaren: Lithonplus GmbH & Co. KG, Lingenfeld, eine Beteiligungsgesellschaft der HeidelbergCement AG
Produkt: Hochfester Farbbeton mit Pantone Trockenpigment, R 13, 90 unterschiedlich geformte, trapezförmige Bodenplatten in Sondergrößen mit 5 Millimetern Fase, objektbezogene Sonderrezepturen